Tirol: Volunteering im Naturpark

Wer sieht sie nicht gerne, die saftigen Almwiesen mit ihrer leuchtenden Blumenpracht? Die glücklich grasenden Kühe und die Vielfalt der Schmetterlinge? Diese natürliche ­Schönheit der Tiroler Naturwelt sollten wir nicht länger als selbstverständlich hinnehmen. Höchste Zeit, einmal selbst Hand anzulegen, um der Natur ein klein wenig Wertschätzung zurückzugeben. Ab diesem Sommer gehen in den Tiroler Naturparks Arbeitseinsatz und erholsame Auszeit Hand in Hand.

Text & Fotos: Sigrun Hannes

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Harte Arbeit: ­Unkraut, Sträucher und ­Latschen müssen beim ­Volunteering-Programm entfernt werden.
© Sigrun Hannes

Das Tiroler Land erstreckt sich von der österreichischen Grenze südlich von München bis nach Italien. Umrahmt von den Allgäuer Alpen im Nordwesten, den Ötztaler Alpen im Süden und den Hohen Tauern im Südosten, trifft man hier auf ein beeindruckendes Stückchen Erde voller Naturjuwelen. Als drittgrößtes Bundesland Österreichs verfügt Tirol über fünf Naturparks sowie einen Nationalpark. Damit steht ein Viertel der Landesfläche unter Naturschutz.

Für Laien mag dies ein Zeichen dafür sein, dass dem Umweltschutz in Tirol damit ausreichend Rechnung getragen wird. Doch auf den zweiten Blick sollte jeder erkennen, dass es keinesfalls aus­reicht, einer Region das Naturpark-Siegel aufzudrücken und zu glauben, das natürliche Bild sei damit über das nächste Jahrhundert gesichert. Überließe man die Natur sich selbst, so wären die einladenden Almwiesen und ökologisch hochwertigen Weideflächen binnen kurzer Zeit verwildert. Um dieses traditionelle Naturbild zu erhalten, bedarf es der menschlichen Hand. Die grünen Flächen müssen von Überwucherung durch Gestrüpp, Sträucher und Latschen freigehalten werden. Den Almbewirtschaftern, die heutzutage die Landwirtschaft häufig nur noch als Nebentätigkeit verrichten, finden hierfür kaum Zeit. Genau aus diesem Grund sind die Tiroler dankbar über helfende Hände. Die Tiroler Naturparks und der Nationalpark Hohe Tauern haben hierzu ein Volunteering-Programm entwickelt, welches allen Naturbegeisterten die Möglichkeit bietet, selbst tätig zu werden.

Im Gegensatz zur herkömmlichen Freiwilligenarbeit orientiert man sich hier jedoch nicht am Prinzip „Arbeit für Kost und Logis“. Vielmehr sollen die Touristen im Rahmen ihres Urlaubs die Möglichkeit erhalten, einen oder mehrere Tage in den Naturregionen mit anzupacken. Die verbleibenden Tage sind dann zur individuellen Urlaubsgestaltung vorgesehen. Als Unterkünfte stehen verschiedene Partnerhotels in den schönsten Orten Tirols zur Auswahl. Um Sie, als potenziellen Urlauber und Helfer, nicht ins Ungewisse zu schicken, habe ich selbst einige Tage in Tirol verbracht und verschiedene Aufgaben erprobt, die den Helfer in der Bergwelt erwarten.

Schwenden im Gelände

Im Naturpark Karwendel lernte ich eine der möglichen Einsatzstellen kennen. Ausgehend von Hall in Tirol, wenige Kilometer nördlich von Innsbruck, wurde ich, gemeinsam mit einer Gruppe von interessierten Journalisten aus verschiedenen Städten Deutschlands, hinauf zur „Thaur Alm“ chauffiert. Die Aufgaben lauteten hier: Ampfer stechen und Latschenkiefern eindämmen, im Fachjargon als „Schwenden“ bezeichnet. Der Sauerampfer ist ein ungebetener Bestandteil der Weideflächen, da er vom Vieh nicht gefressen wird und sich so nach und nach immer mehr verbreitet und die Almflächen dominiert. So galt es, ihn möglichst samt Wurzel auszugraben, was sich mitunter als recht kräfteraubend erwies, da die größeren Pflanzen schon sehr fest in der Erde verwurzelt sind. Umso stolzer war man, wenn man wieder eines der großen ausgegrabenen Kaliber schwungvoll auf den großen Sammelberg befördern durfte.

Destination Tirol liegt voll im Trend

Nachdem die Almen über Jahre hinweg sich selbst überlassen wurden, breiten sich Latschenbäume immer mehr aus. Sie dominieren die Flächen inzwischen so stark, dass kaum mehr Platz für weidendes Vieh bleibt. Nun ist eine sechsköpfige Journalistengruppe vielleicht nicht die erfahrene Einsatzmannschaft, die man sich als Naturparkführer wünscht, doch an der Motivation scheiterte es gewiss nicht! Voller Euphorie ging es ans Werk. Und siehe da, nach einiger Zeit hatten wir dank Motorsäge, Astschere und Japansäge (für die besonders Eifrigen) schon eine erheblich lichtere Fläche geschaffen, so dass auf den wenigen von uns bearbeiteten Quadratmetern immerhin schon mal die ein oder andere Kuh ­ihren Sommer verbringen könnte.

Exakt 101 Almen befinden sich im Naturpark Karwendel. Dies lässt einen Rückschluss auf die Zahl der Touristen zu, die sich hier in den Sommermonaten auf Wanderschaft begeben. Keine Frage, Tirol ist eine Trenddestination! Und dieser alljährliche Ansturm will vorbereitet und bewältigt sein. Der österreichische Alpenverein initiierte bereits etliche Aktionen der Freiwilligenarbeit. Für Schulklassen bieten sich die Tiroler Naturparks natürlich als ideales Naturerlebnisprogramm an: Natur schützen, Natur begreifen, Natur erleben – das sind Schlagworte, die die Intention der Alpen- und Naturparkverantwortlichen widerspiegeln. Mit dem neu entwickelten ­Volunteering-Programm, das in diesem Sommer startet, verbinden die Initiatoren den traditionellen Gedanken der Freiwilligenarbeit mit Urlaub, Freizeiterleben und Erholungswert. Das Programm ­richtet sich bewusst an Personen über 18 Jahren, nach oben sind keine ­Grenzen gesetzt. Wer sich rüstig genug fühlt, einmal mit ­anzupacken, ist gern gesehener Gast.

Die Weiterfahrt führte unsere Journalistengruppe ein Tal weiter in Richtung Osten, in das herrliche Zillertal. Fügen, Mayrhofen und Tux, bekannt dank seines Gletscherskigebiets, sind nur einige Orte des Zillertals, die dem ein oder anderen Wintersportbegeisterten ein Begriff sein dürften. Im Bergsteigerdorf Ginzling, circa zehn Kilometer südlich der bekannten Zillertaler Destination Mayrhofen, erwartet den Besucher ein Naturparkhaus, das nicht nur für wissbegierige Kinder, sondern für alle Altersklassen eine äußerst lehrreiche Informationssammlung bereithält und über Gletscherbildung, Naturparkregion und das Leben im Zillertal informiert.

Unser Einsatzort war die auf circa 1.800 Metern Höhe gelegene Els-Alm. Die wunderschöne Hochfläche oberhalb der Zillertaler Gemeinden Finkenbach und Tux wird von einer Agrargemeinschaft betrieben. 110 Kühe sind in den Sommermonaten auf den Weideflächen zu Hause, die teilweise treffender als „Weidesteilhänge“ zu bezeichnen sind.

Einsatz auf der Els-Alm

Am Fuße des „Lappen“, des 2.430 Meter hohen Hausbergs der

Els-Alm, machten wir uns erneut ans Werk. Auch hier bekamen wir ­einen guten Eindruck, wie stark Weidefläche verbuscht und ver­wildert, wenn man ihr nur lange genug freien Lauf lässt. Die weit ­verbreiteten Alpenrosen und Preiselbeersträucher bieten dem Wanderer einen tollen Anblick. Und doch galt es für uns wie auch für die zukünftigen Volunteer-Programm-Teilnehmer, die Almfläche mosaikförmig freizuschneiden. Das bedeutete also, kleinere Inseln stehen zu lassen, um den Tieren den idealen Weideraum zu bieten.

Der letzte Tag meiner Tirol-Reise stand weniger im Zeichen des körperlichen Einsatzes. Vielmehr wurde mir speziell an diesem Tag bewusst, mit welch großer Leidenschaft und mit wie viel Herzblut die Tiroler an ihrer Heimat hängen. Der Erhalt der Naturlandschaft, die Bewirtschaftung von Steilhängen, der individuelle Einsatz, der Kampf, den es mitunter auch gegen gesetzliche Auflagen anzutreten gilt, all dies nehmen die Zillertaler in Kauf, um sich und ihrer Heimat treu zu bleiben. Dies vermittelte uns auch das Besitzerehepaar des wunderschönen Hotels „Kramerwirt“ in Mayrhofen: „Das Zillertal möchte überhaupt nicht für ,Action‘, ,Boom‘ und ,Sensation‘ stehen. Das Zillertal soll bleiben, was es immer war: Ort der Ruhe, des Innehaltens. Im Grunde verkörpert es den Modebegriff Entschleunigung wie kaum eine andere Ferienregion.“ Und auch wenn das Zillertal wenig bestrebt ist, die Hypes und angesagten Trends mitzugehen, so bedeutet dies keinesfalls Stillstand. Die Gastronomie und Tourismusbranche bietet den Gästen höchsten Komfort und erstklassige Wellness-Oasen. Jedoch – und gerade das zeichnet das Zillertal aus –

gepaart mit Natürlichkeit. Mit silo- und gentechnikfreier Erzeugung der Sennereiprodukte und damit auch der Lebensmittel, die in den Zillertaler Gastronomiebetrieben auf die Teller kommen, mit Körpereinsatz bei der Bergmahd (dem Mähen der Steilflächen) und nicht zuletzt mit der mühseligen Pflege der Almlandschaften. Als es nach meiner Tirol-Reise hieß, Abschied zu nehmen, fiel es mir schwer, den Tiroler Tälern Lebewohl zu sagen. Das wertvolle Stückchen Erde war mir in den wenigen Tagen sehr ans Herz gewachsen. Hier ist Tradition nicht nur ein leeres Wort, mit dem es sich gut werben lässt. Hinter Tradition steht in der Tiroler Region echte Wertschätzung. Dies beginnt bei der Tiroler Tracht, die nicht nur im Bierzelt zur Schau gestellt wird, und endet bei den ­Naturschulen, die über die letzten Jahre in etlichen Naturparks errichtet wurden. Für Letztere wurde ein speziell an die Natur­gegebenheiten angelehnter Lehrplan aufgestellt, und es besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen den Tiroler Naturparks und den ­Lehrern der Naturschulen.

Lehrreich wird es auch für die Volunteering-Einsatzkräfte werden, die sich in den Sommermonaten nach Tirol begeben und sich vor Ort selbst ein Bild von den Naturjuwelen in den Naturparks oder im Nationalpark machen werden. Wenn man selbst einmal hinter die Kulisse der traumhaften und landestypischen Tiroler Idylle geblickt und für deren Erhalt geschwitzt hat, wird man nach getaner Arbeit den Luxus, den Genuss und die Erholungsquellen, die einem Tirol im Gegenzug bietet, noch viel intensiver genießen. Der Koffer an Erinnerungen und die Lebensbereicherung, die man nach getaner Arbeit mit nach Hause nehmen darf, werden einem die Schwielen an den Händen tausend Mal wert sein!

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Info vor Ort: Das Zillertaler Naturparkhaus bietet allerlei Fakten zum Naturschutz.
© Sigrun Hannes

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Dieser Artikel ist aus der Ausgabe: wanderlust Nr. 05 / 2013

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