Update 10: Zehn Wochen auf spanischen Jakobswegen

Wanderlust-Autor Andreas Tomsche ist zu Fuß unterwegs von Sevilla nach Santiago de Compostela. Anfangs wanderte er auf dem Via de la Plata, dem zweiten großen, von Süden nach Norden verlaufenden Jakobsweg auf der iberischen Halbinsel.

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Ein kurzes Stück der Via de la Plata führt über eine stillgelegte Eisenbahnbrücke. (© Andreas Tomsche)

Meinen letzten Artikel habe ich in Astorga geschrieben, als ich dort von Sevilla aus kommend auf der Via de la Plata den bekanntesten Pilgerweg, den Camino Frances erreicht habe. Von Astorga ging es dann noch rd. 270 km weiter immer Richtung Westen bis nach Santiago de Compostela.

Da auf der Via de la Plata nur wenige Pilger unterwegs sind, habe ich mich an der Wegkreuzung in El Granja für die Variante über den Camino Frances entschieden. Dort sollten dann endlich mehr Pilger unterwegs sein, mit denen ich kommunizieren konnte. Die meisten Pilger, die die Via de la Plata gehen, suchen allerdings eher die Ruhe beim Wandern und wählen deshalb ab El Granja die Variante über den Camino Sanabres nach Santiago.

Und tatsächlich war das Gefühl auf dem Camino Frances von Anfang an weit positiver. Mehr Pilger auf dem Weg bedeuten für mich, dass die Chance andere Langzeitreisende oder inspirierende Menschen mit funkelnden Augen zu treffen weit höher ist. Kurzum, kaum auf dem Camino Frances angekommen fühlte ich mich gleich wie zu Hause. Viele interessante Gespräche und tagsüber beim Laufen auch die Möglichkeit, mit anderen Gleichgesinnten gemeinsam zu gehen. Das war auf der Via de la Plata häufig nicht der Fall.

Ankunft in Santiago

Am 15.04.2016 bin ich dann nach insgesamt 950 km in Santiago eingetroffen. Ursprünglich wollte ich diesen letzten Tag in Ruhe und alleine gehen. Unterwegs bin ich dann allerdings auf eine in Sevilla lebende kanadische Journalistin getroffen, die einen Artikel über den Camino Frances schrieb und deshalb selbst einige Tage auf diesem unterwegs war. Am Ende sind wir dann gemeinsam auf dem großen Platz vor der Kathedrale eingelaufen, auf dem sich traditionell die neu eintreffenden Pilger sammeln.

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Malerische Bucht vor Finisterre, was übersetzt so viel bedeutet wie „Ende der Welt“. (© Andreas Tomsche)

Allerdings wunderte ich mich dort über mich selbst. Im Moment der Ankunft nach sechs Wochen ständigen Gehens fühlte ich… nichts: keine Erleichterung oder Freude, es geschafft zu haben. Dieses Gefühl stellte sich erst Tage später bei der Ankunft in Finisterre ein. So war der eigentliche Höhepunkt des Ankunftstages die abendliche Pilgermesse in der Kathedrale, bei der das überdimensionale Weihrauchfaß, der Botafumeiro geschwenkt wurde.

Nach einem Ruhetag in Santiago ging es dann zu Fuß für einige Tage in das rd. 90 km entfernt liegende Finisterre, einem ruhigen Ort direkt am Atlantik mit nur 5.000 Einwohnern. Nach vier weiteren Lauftagen bin ich dann am 20.04.2016 dort eingetroffen. Dieser Tag war etwas ganz außergewöhnliches: Er begann mit einem Frühstück in einer Bar direkt am Meer. Da auch das Wetter mitspielte, saßen meine Mitpilger und ich draußen und genossen den herrlichen Ausblick. Da an diesem Tag nur 12 km zu gehen waren, erreichten wir bereits am frühen Nachmittag Finisterre.

Abstecher ans „Ende der Welt“

Nach dem Einchecken in der Pension ging ich mit einem niederländischen Mutter-/Tochter-Gespann an den nahen Strand. Bei Sonnenwetter genossen wir das Schlendern im feuchten Sand. Der dritte perfekte Moment dieses Tages folgte dann am Abend. Das Highlight für jeden Finisterre-Besucher ist der Besuch des naheliegenden Leuchtturmes. Darunter die Felsen und das brandende Meer.

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Sonnenuntergang am Kap Finisterre (© Andreas Tomsche)

Ich lief mit den beiden Pilgerinnen aus den Niederlanden zum Leuchtturm, um bei idealen Bedingungen und einer Dose Bier den Sonnenuntergang zu genießen. Das besondere dieses Tages? Ich denke, es war der erste Tag in meinem Leben, an dem ich dreimal innerhalb eines Tages gesagt habe, dies ist ein perfekter Moment. Und bis auf das Frühstück waren die beiden anderen Tageshöhepunkte sogar gratis.

Im Alltag glauben wir, uns häufig mit teuren Events Glücksgefühle erkaufen zu können, die uns dann für die vielen Überstunden und den ganzen Stress belohnen sollen. Dagegen liegen die wahren und intensivsten Glücksmomente häufig verborgen in solch eher kleinen Wahrnehmungen.

Camino Primitivo: von Oviedo nach Santiago/Finisterre

Nach zwei Tagen Finisterre ging es dann mit dem Bus wieder nach Santiago zurück. Da ich noch ca. drei Wochen Zeit hatte, bis ich mein übriges Gepäck wieder in Sevilla abholen musste, wollte ich noch einen weiteren Weg pilgern. „Einmal Pilger, immer Pilger“, dachte ich mir!

Wie viele andere Pilger auch, bin ich vom Pilgervirus infiziert. Dieses herrlich einfache Leben mit dem täglich wiederkehrendem „Vierklang“ aus Wandern, Kommunizieren, Essen und Schlafen entfaltet eine ganz besondere Magie, wenn man sich über längere Zeit darauf einlässt. Keine Erwartungen anderer, kein Alltagstrott, den ganzen Tag in der Natur mit Gleichgesinnten. All das macht das Pilgerleben so minimalistisch und gleichzeitig intensiv. Man konzentriert sich auf wenige aber wesentliche Dinge. Und hat so auch Zeit, seinen individuellen inneren Lebensweg zu reflektieren.

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Das Wandern auf dem Camino Primitivo erinnerte den Autor aufgrund des ständigen Auf und Abs an den heimischen Schwarzwald. (© Andreas Tomsche)

Da ich auf meinen Wegen immer wieder andere Pilgerveteranen nach ihrem Lieblingsweg frage, bin ich auf den Camino Primitivo gestoßen. Dieser wird häufig als der schönste, aber auch der härteste Jakobsweg beschrieben, weil er einem ständigen Auf- und Ab gleicht. Da ich ja bereits die Via de la Plata geschafft hatte, dachte ich mir, dass nun der ideale Zeitpunkt für den Camino Primitivo ist.

Kondition hatte ich jede Menge. Es ist wirklich erstaunlich, wie gut sich unser Körper an die Herausforderungen anpasst, wenn man über längere Zeit täglich wandert. Anstrengende Steigungen, auf denen ich vor wenigen Monaten mehrmals stoppen musste, gehe ich heute in „einem Rutsch“. Mein maximales Lauftempo und die maximale km-Zahl, die ich mir an einem Tag zutraue, sind deutlich höher als zu Anfang meiner Reise.

Gemeinschaftsgefühl stellt sich ein

Zunächst fuhr ich dann per Bus nach Oviedo. Am 25.04.2016 startete ich dann von dort aus in mein „Camino-Primitivo-Abenteuer“. Direkt nach Verlassen der Stadt hatte ich die Gelegenheit, den typischen Charakter des Caminos kennen zu lernen: Es ging gleich ordentlich auf und ab. Und das sollte bis zum Ende meiner 14-tägigen Pilgerreise so bleiben. Aber ich wusste ja, von anderen Pilgern, was mich erwartet.

Es war über die gesamten zwei Wochen eine permanente Herausforderung. Wie im wirklichen Leben ging es über etliche Hoch- und Tiefpunkte ans Ziel. Und das hieß Santiago de Compostela. Über weite Strecken fühlte ich mich beim Gehen an den heimatlichen Schwarzwald erinnert. Es war für mich also fast wie Wandern zu Hause.

Auf dem Camino Primitivo sind deutlich weniger Pilger unterwegs als zuvor auf dem Camino Frances. Es sind aber immerhin so viele, das sich beim Pilgern das Gefühl einer „Community“ einstellt. So kann man tagsüber beim Gehen flexibel entscheiden, ob man lieber allein oder in Gemeinschaft wandert. Auf jeden Fall trifft man abends dann die meisten in der Albergue wieder und kann sich dann über die tagsüber gemachten Erfahrungen und Erkenntnisse austauschen.

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Durch den „Zauberwald“ auf dem Camino Primitivo (© Andreas Tomsche)

Nach vielen wunderschönen Lauftagen in dieser welligen Region Nordspaniens bin ich dann am 08.05.2016 ein weiteres Mal in Santiago angekommen. Da es mittlerweile zwei Wochen später und somit näher an der Hauptsaison war, fand ich nur nach längerem Suchen ein Zimmer für die Nacht.

Ich entschied mich dann, nach einem Ruhetag in Santiago nochmals den Weg nach Finisterre in Angriff zu nehmen. Schließlich herrscht dort deutlich weniger Trubel als im touristisch geprägten Santiago. So lief ich dann in vier Tagen dorthin und schaute mir nochmals den Sonnenuntergang an. Auch der obligatorische Strandspaziergang war ein Höhepunkt. Nach zweitägigem Aufenthalt in Finisterre kehrte ich dann letztmalig nach Santiago zurück.

Zurück in Sevilla

Mit dem Bus bin ich dann am 17.05.2016 in Sevilla angekommen. Dort hatte ich das restliche Gepäck meiner Langzeitreise eingelagert. Außerdem will ich zunächst das Geld für meine nächste Reise, die mich Mitte nächsten Jahres auf den Pacific Crest Trail in den USA führen soll, verdienen. Um mein Spanisch zu verbessern, habe ich mich dazu entschieden, dies möglichst hier in Sevilla zu tun.

So heißt es hier zunächst Abschied nehmen, von meiner Langzeitreise. Gleich nach meiner Ankunft hier ist mir deutlich geworden, wie weit ich nach zehn-wöchigem Dauerpilgern in der Natur und dem einfachen Leben auf dem Camino Abstand gewonnen habe. Der Trubel der Großstadt mit vielen Autos und noch mehr Menschen ist mir mittlerweile fremd geworden. An diesen schnelleren Rhythmus und die Hektik muss ich mich erst wieder gewöhnen.

Da ich meine Reise nun für einige Monate unterbreche, verabschiede ich mich an dieser Stelle vorläufig von meinen Lesern. Sobald meine Langzeitreise weitergeht werde ich an dieser Stelle wieder berichten.

Euer Andreas Tomsche

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