Update 4: Vier Monate auf Jakobswegen – erste Zwischenbilanz

Heute bin ich in der Stadt Astorga und somit „nur noch“ 270 Kilometer von Santiago de Compostela entfernt. Es ist ein zwiespältiges Gefühl so nah am ersten Ziel meiner 2-jährigen Langzeitreise zu sein.

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Beeindruckend: Panoramablick vn den Pyrenäen.
© Andreas Tomsche

Einerseits habe ich überhaupt nicht das Gefühl seit meinen Aufbruch im Juni in Deutschland bereits über 2000 Kilometer in meinen Beinen zu haben und andererseits will ich innerlich noch gar nicht wirklich dort ankommen. Bei jeder Anzeige der Entfernung nach Santiago wünsche ich mir, dass dort eine deutlich höhere Kilometer-Zahl steht. Das ist Außenstehenden wie meiner Familie und meinen Freunden nur schwer zu vermitteln. Deren erste Frage lautet in der Regel: „Na Andreas, bist Du froh endlich dein erstes Ziel zu erreichen und hast Du eigentlich noch nicht genug von der ganzen Lauferei?“. Andere Langzeitreisende oder –pilger können diesen „Ankunfts-Blues“ wohl besser nachempfinden!

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Erfolgreicher Grenzgänger: Andreas Tomsche am Grenzstein zu Spanien.
© Andreas Tomsche

Aber egal wie meine Gefühlswelt gerade aussieht. Heute ist der richtige Zeitpunkt, um eine erste Zwischenbilanz zu ziehen:

Ich wollte die Monate auf den Jakobswegen durch Frankreich und Spanien ja auch zur Vorbereitung auf die folgenden Wander-Herausforderungen in Patagonien (ab Mitte November 2015), auf dem Pacific Crest Trail in den USA (ab Mitte April 2016) sowie der abschließenden Trekking-Tour durch Neuseeland (ab Oktober 2016) nutzen. Gemessen an diesem Ziel war die Entscheidung aus heutiger Sicht genau richtig. Ich habe bisher durch das regelmäßige Auf und Ab durch die hiesige Gebirgswelt rund acht Kilo an Gewicht verloren und meine Kondition ist wohl so gut wie nie zuvor. Da ich seit der 6. Woche außerdem einen Carrix-Transporter für meinen großen Rucksack verwende, den ich auch in Patagonien nutzen will, hatte ich auf den Jakobswegen ausreichend Möglichkeiten, das Handling zu trainieren.

Ein weiterer Grund für die Jakobswege als ein Reiseziel meiner Langzeitreise war das Kennenlernen von anderen Menschen und ihren jeweiligen Motivationen für die Pilgerreise. Auch hier haben sich meine Erwartungen voll erfüllt. Viele Pilger sind auf dem Weg, weil sie nach möglichen Veränderungen in ihrem Leben suchen. Da ich mit meinen beiden Rucksäcken und dem Carrix-Transporter nicht zu übersehen bin, war häufig die erste Frage an mich, warum ich denn mit zwei Rucksäcken reise? Als ich dann von meiner geplanten 2-jährigen Reise berichtet habe, war nicht selten ein Funkeln in den Augen des jeweiligen Gegenübers zu erkennen. Oft habe ich dann bei späteren Gesprächen von diesen Pilgern gehört, dass sie sich durch mich für ihre eigene Zukunft inspiriert fühlen. Gibt es etwas Erfüllenderes als andere Menschen auf ihrem Lebensweg zu inspirieren? Für mich waren diese Gespräche meine persönlichen Highlights auf den Jakobswegen!

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Typisch für die Meseta-Region sind die langen geraden und weißen Wege.
© Andreas Tomsche

Ein weiteres Ziel war es, erste Schritte in meine „persönliche Freiheit“ zu gehen und zwar unter geschützten Bedingungen. Nach meinem Ausstieg aus dem geregelten Leben (ohne Job, Auto und Wohnung) wollte ich zunächst meine Freiheit nicht unter vollem Risiko auskosten. Da auf den Jakobswegen die Temperaturen gemäßigt, die Berge mit 1500 Metern nicht zu hoch und die Infrastruktur (Arztdichte, Supermärkte, Internet) fast optimal sind, wollte ich hier mit meiner Langzeitreise beginnen. Somit konnte ich mich langsam an das neue Leben in Freiheit (z.B. wildes Campen, bewußtes und vorsichtiges Gehen ausschließlich mit niedrigen Schuhen) gewöhnen. Erst anschließend werde ich das Risiko mit meinen Aufenthalten in Patagonien (sehr dünne Besiedlung, Flussquerungen, Berge über 4000 Meter) und auf dem PCT steigern. Auch bei diesem Punkt kann ich heute sagen, dass die Vorbereitung in Europa sehr sinnvoll war. Aber Abschließendes kann ich natürlich erst sagen, nachdem ich diese risikoreicheren Regionen bereist habe. Sobald ich neue Erfahrungen gesammelt habe, werde ich an dieser Stelle wieder berichten. Abschließend kann ich sagen, dass es auf den Jakobswegen ganz leicht ist, seine persönliche Freiheit auszuleben: Finde ich interessante Pilger kann ich von Tag zu Tag entscheiden, allein oder gemeinsam mit diesen zu gehen. Genauso einfach ist es (insbesondere auf dem Camino Francés in Nordspanien), täglich die Etappenlänge an seine persönlichen Bedürfnisse und körperliche Konstitution anzupassen.

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Die Kathedrale von Leon erstrahlt im Sonnenlicht.
© Andreas Tomsche

Als Fazit kann ich aus heutiger Sicht feststellen, dass meine Entscheidung für die Langzeitreise und damit für das Risiko aus meinem „alten Leben“ auszusteigen genau richtig war. Nur wer seine persönliche Komfortzone verlässt und etwas wagt, kann auch etwas (z.B. seine persönliche Freiheit) gewinnen! Die individuellen Spielräume sind sicherlich für einen jüngeren Alleinstehenden anders als für einen älteren Familienvater. Aber mit Mut und der erforderlichen Konsequenz kann jeder in seinem Leben die evtl. erforderlichen Veränderungen hin zum Positiven einleiten…

Euer Andreas Tomsche

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Der Bart steht, das Stirnband sitzt! Wander-Selfie in Logroño, der Provinzhauptstadt der Region Rioja.
© Andreas Tomsche

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