La Palma

© Oliver Gerhard
Lorbeerwälder und bunte Terrassengärten, Aschefelder, wilde Schluchten und Steil- küsten: La Palma gilt als abwechslungsreichste Wanderinsel der Kanaren. Auch der gerade erst erloschene Vulkan hat sich schon zu einer neuen Attraktion entwickelt.
Die Bergwiesen haben sich heute für einen Look in Lila entschieden: Milchdisteln wuchern hüfthoch, daneben rankt Altheenwinde. Die Wegränder sind ge- sprenkelt mit Natternköpfen, Asphaltklee und Exemplaren der Rauen Spreeblume. Nur hin und wieder mogelt sich frech ein knallroter Klatschmohn dazwischen und stört das einheitliche Landschaftsgemälde aus purem Violett. Die Natur an der Nordspitze der Insel La Palma könnte kaum wilder und üppiger sein: Immer wieder müssen die Wanderer ihre Arme heben, um sich durch das hohe Gras zu kämpfen, das am Rande des Hohlwegs zwischen morschen Feldsteinmauern wuchert. Es geht durch halb verwilderte Terrassen mit Feigen- und Mandelbäumen, Agaven und Kandelaberkakteen. Eidechsen huschen, in der Tiefe schimmert die Wasserfläche des Atlantiks.
Über dem Wolkenmeer
Die zweitkleinste Kanareninsel, westlich von El Hierro gelegen, ist die wohl viel- fältigste des Archipels. Nicht umsonst gilt sie, auch wegen fehlender Sandstrände, vor allem als Wanderinsel. Die Palette der Touren reicht von Spaziergängen im Urwald über Küstenwanderungen und Schluchtendurchquerungen bis hin zu herausfordernden Gipfelbesteigungen auf 2.400 Metern Höhe. Das Wetter kann man sich meist selbst aussuchen: Wenn die Passatwolken den Inselwesten verhüllen, fährt man am besten durch den Tunnel unter der Wetterscheide hindurch in den sonnigeren Osten. Und wenn der Nebel auch dort herrscht, hilft es meist, in die Berge des Nationalparks Caldera de Taburiente vorzustoßen, wo man sich ab spätestens 1.000 Höhenmetern über dem Wolkenmeer wiederfindet. Ein Highlight des Nordens sind die urwüchsigen Drachenbäume, weit verästelte Monolithen mit dicken, grauen Stämmen, die in diesem Inselteil Haine und Alleen bilden. Auf Spanisch heißen sie nur „Drachen“ – und sind eigentlich keine Bäume, sondern Spargelgewächse. Ihr Harz, das „Drachenblut“, war schon im Mittelalter wegen seiner angeblich heilsamen Wirkung begehrt. Besonders beeindruckende Exemplare entdeckt man beim Abstieg vom Dörfchen Las Tricias zur Höhlensiedlung Buracas. Zunächst säumen noch bunte kanarische Häuser und blühende Gärten den historischen Pflasterweg und die Dorfkatzen streichen um die Beine der Wanderer, dann geht es immer tiefer in Richtung Atlantik, wo die Ureinwohner in ihren Höhlen Felsritzungen hinterließen. Weil dieser Weg so beliebt ist, bieten Einheimische am Wegesrand selbst Ge- basteltes oder Geerntetes an: mit Engeln bemalte Steine, eine Kiste mit saftigen Bio- Grapefruits oder gebrauchte Bücher – von der Bibel bis zum Liebesroman – in einem kleinen Outdoor-Regal samt „Kasse des Vertrauens“. Und wer drei Euro investiert, darf sogar einen Drachenbaumsetzling in seinen Rucksack packen. Angesichts der wilden Vegetation würde man kaum vermuten, dass man sich auf einer Vulkaninsel befin- det. Die Caldera dieses mehr als zwei Mil- lionen Jahre alten Urvulkans erhebt sich bis auf 2.426 Meter Höhe – und eine beson- ders faszinierende Wanderung führt mitten in ihr Herz. Doch zunächst muss man sich einem der Shuttlefahrer anvertrauen, die Wanderer über steile Kurven zum Startpunkt bringen. Jedes Mal, wenn der Chauffeur nahe andenAbgrundsteuertodereinementge- genkommenden Fahrzeug ausweicht, geht ein Seufzen durch die Passagiere.
Blick nach El Hierro
Am Mirador Los Brecitos stehen schon höl- zerne Wanderstöcke bereit für den langen Abstieg in den Barranco de las Angustias, die „Schlucht der Ängste“, in der sich das Wasser von den umliegenden Gipfeln sam- melt. Ein feiner Dunst liegt über dem Wald im Vulkankessel, darüber ragen dunkle Felsspitzen und senkrechte Wände auf. EinTeppichausKiefernnadelndämpftdie Schritte auf dem Pfad, der gemächlich ab- wärts führt, bis zur Unhörbarkeit. Einmal öffnet sich ein Fenster zum Meer mit Fernblick zu einer Insel. „Das ist El Hierro“, sagt Jadwiga Mech. „Der Legende nach regnet es nach drei Tagen, wenn man abends die Lichter der Insel erkennen kann.“ Die junge Wanderführerin berichtet, dass sie sich während der Pandemie als Kellnerin durchschlug: „Die Stammgäste waren knorrige alte Landwirte – sie haben mir viel Neues über die Natur und das Wetter beigebracht.“ Immer wieder bleibt Jadwiga stehen, um Pflanzen zu identifizieren oder Hinter- gründe zu erklären. „Warum sieht man so wenig Wasser auf der Insel?“, will ein Wan- derer wissen. Die Führerin erläutert das Jahrhunderte alte Verteilungssystem auf Basis von „Wasseraktien“, durch das jeder verfügbare Tropfen genutzt wird – vor allem für die intensive Landwirtschaft. Ein Prinzip, von dem nur eine Minderheit der Inselbewohner profitiere. Jadwiga weist auch auf die Brandwunden an vielen der Kanarischen Kiefern hin, die hier bis zu 25 Me- ter hoch werden. „Sie sind Überlebenskünstler: Ihre dicke Rinde schützt sie bei Waldbränden, nur einige Äste und die Nadeln verbrennen.“ Doch die besonders langen Kiefernnadeln können noch mehr: Sie fischen förmlich die Feuchtigkeit aus den Passatwolken. Das Wasser verfängt sich darin und tropft dann zu Boden. Dann ist die Playa de Taburiente erreicht – kein Badestrand, sondern das Ufer des Wildbachs, in dem sich das Wasser vieler unterirdischer Ströme sammelt. Die Füße zur Abkühlung im kalten Wasser, das Picknick auf großen Flusssteinen angerichtet, genießen alle den Blick auf das umlie- gende Amphitheater aus Vulkanwänden.
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