Alles so grün hier

© Wolfgang Stelljes
Zugegeben, die Insel Föhr hat nicht so breite Sandstrände wie ihre nordfriesischen Schwestern Sylt und Amrum. Dafür hat die größte deutsche Insel ohne Landanbindung aber ein paar andere Vorzüge. Welche, das hat unser Autor Wolfgang Stelljes von waschechten Insulanern und Inselexperten erfahren.
Text & Fotos: Wolfgang Stelljes
Ralf Brodersen ist Föhrer Urgestein. Seine Familie stammt aus Oevenum und ist seit gut 170 Jahren auf der Insel ansässig. Oevenum ist eines von elf Dörfern auf Föhr, 1882 wurde hier die erste Jugendfeuerwehr Deutschlands gegründet, sein Großvater kannte noch die Gründungsmitglieder, sagt Brodersen. Tagsüber arbeitet er bei der Tourist-Information. „Wann hat man auf Föhr die höchste Stufe der gesellschaftlichen Integration erreicht?“, fragt Brodersen, wohl wissend, dass man als Außenstehender nur mit den Schultern zucken kann. „Wenn man in Hedehusum von einem Einheimischen zu einem Manhattan eingeladen wird.“ Nun muss man wissen, dass der Manhattan-Kult auf der Insel ist. „Keine Kindstaufe, keine Hochzeit, keine Beerdigung geht ohne dieses Getränk über die Bühne.“ Und in Hedehusum sind die „Manhattan-Päpste“ zu Hause. Im Grunde genommen ist es ein einfaches Mixgetränk, bestehend zu je einem Drittel aus Whisky sowie rotem und weißem Wermut. Meist nehmen ihn die Einheimischen als Aperitif zu sich, gekühlt und mit Cocktailkirsche.
Eigentlich ist der Manhattan ein Importprodukt. Eingeführt hat ihn ein junges Paar, das wie viele andere in die Vereinigten Staaten ausgewandert war, in den 1950er-Jahren aber zurückkehrte. Überhaupt ist die Beziehung zu den USA eine ganz besondere. Man sagt, dass es dort mehr Föhrer gibt als auf der Insel. Das ist gar nicht so unwahrscheinlich, denn auf Föhr selbst leben nur rund 8.400 Menschen, die eine Hälfte in Wyk, die andere in Dörfern wie Midlum, Dunsum, Utersum oder Oldsum. Oder in Süderende, mit seinen 180 Einwohnern das „Zentrum des Westens“, wie Brodersen sagt, auch wenn er weiß, dass andere Insulaner dann die Augen rollen. Für Brodersen ist Süderende ein Heimspiel, „hier kenne ich jeden Baum und jeden Strauch“. Dann zählt er auf, was es hier sonst noch so gibt, und man wundert sich über die Infrastruktur für ein Nest dieser Größenordnung: Kirche, Kindergarten, Grundschule, Sportplatz, Tennishalle, Friedhof – alles da.
Touristenattraktion Friedhof
Fast jeder Föhr-Besucher stromert irgendwann über den Friedhof von Süderende und versucht zu verstehen, was die „sprechenden Grabsteine“ erzählen. Es sind in Stein gemeißelte Lebensgeschich- ten, Ausdruck eines mitunter großen Repräsentationsbedürfnisses, selbst die Rückseiten sind beschriftet. „Jeder, der hier liegt, hat seinen Grabstein gesehen und die Inschrift diktiert, nur das letzte Datum fehlte noch“, sagt Brodersen. Allerdings muss man das, was auf den Grabsteinen steht, erst mal lesen und deuten können. Ohne ortskundige Hilfe stünde man wie der Ochs vorm Tor. Glockenblumen, verrät Brodersen, symbolisieren zum Beispiel den männlichen Zweig der Familie, Sternblumen den weiblichen. Jede Blüte steht für einen Sohn oder eine Tochter. Ist der Stiel geknickt, dann sind die Nachkommen verstorben. Und der Stiel ist oft geknickt, ein Hinweis auf die hohe Kindersterblichkeit.
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