Wilde Weiden in Hamburgs Nordosten
Eiszeitgletscher hobelten Rinnen aus und lagerten Steinschutt ab. Jahrtausende später rollten hier Panzer, schufen Vertiefungen für Pfützen und Tümpel. Gut für seltene Arten! Nun fressen sich Galloway-Rinder durch die savannenähnliche Landschaft. Damit es auch morgen im Hamburger Nordosten noch kriecht, krabbelt und flattert …

© Beate Wand
Text & Fotos: Beate Wand
Ein Graureiher verharrt am Ufer. Spreizt die Flügel zum Trocknen, plustert sich. Schreitet staksig an der Wasserkante des Regenrückhaltebeckens entlang. Er ist Stammgast an dem von Schilf, Bäumen und Büschen umrahmten Teich am Rande des Großstadtdschungels. Die drei Wanderwege „Gletscherspur“, „Entdeckerpfad“ und „Gallo-Way“ durchstreifen das Naturschutzgebiet Höltigbaum und Stellmoorer Tunneltal im nordöstlichen Zipfel Hamburgs sowie dem angrenzenden Schleswig-Holstein. An der Gletscherspur staut ein Damm die Wandse zu diesem Reservoir auf. Regnet es viel, überschwemmt das nach dem Hamburger Stadtteil Wandsbek benannte Flüsschen seine Umgebung. Doch im Sommer trocknet sein Bett fast aus. Im Sandboden des Quellgebiets versickert das Wasser schnell wieder. Nur wenn das Grundwasser hoch steht, hält es sich an der Oberfläche und rinnt – durch ein Tunneltal.
Gletscher als Gestalter
Eine deutliche Senke durchzieht das auf engem Raum munter auf- und abturnende Gelände. Gletscher hobelten die Rinne aus. Vor 15.000 Jahren drang der Eisschild der letzten Kaltzeit aus Skandinavien bis hierher vor. Unter dem Druck der 300 Meter dicken Decke schmolz das Eis am Grund. Als es wieder wärmer wurde, triefte auch noch Oberflächen-Tauwasser durch Gletscherspalten hinunter. Am Grund bahnte sich alles Flüssige einen Tunnel, schoss als reißender Strom durch ein sogenanntes Gletschertor ins Freie vor der Eiszunge, durchfurchte den Boden.
Wasser unter den Gletschern und die schweren Eismassen gestalteten die Landschaft: Formten in ihrer Fließrichtung Geröll der vorausgegangenen Kaltzeit zu lang gestreckten Hügeln, den Drumlins. In den Tunneltälern, die sich das Wasser unter dem Eis bahnte, stauten sich mitgerissener Sand und Kiese an. Nach dem Zurückweichen des Eises blieben wallartige, lange Hügelketten zurück, die Wallberge oder Oser heißen. Eine Seltenheit in Norddeutschland.
Wandert man vom Regenrückzugsbecken weiter auf der Gletscherspur, öffnet sich wenig später hinter einem Viehgatter plötzlich die Landschaft. „Prärie“ schreiben die Mitarbeiter des Infozentrums Haus der Wilden Weiden intern auf ihre Geländekarten. Regina Dieck, verantwortlich für das umfangreiche Bildungsangebot im Höltigbaum, verrät an dieser Stelle: „Auf meinen geführten Sonntagsrundgängen bitte ich die Teilnehmer hier, sich paarweise an der Hand zu nehmen und einmal nach dort zu schauen.“ Sie zeigt auf die Seite, wo sich eine kurzgeschnittene, knatschgrüne Wiese wie ein riesiges Handtuch über der sanft gewellten Fläche ausbreitet. Nichts, wo die Augen verharren. Erst weit hinten, an den Rändern, bremsen Bäume und Sträucher den Blick. „Und jetzt kommt mein Geschenk“, kündigt sie an und bittet alle, sich umzudrehen. „Meist geht dann ein Raunen durch die Gruppe“, rühmt Dieck den Moment, wenn die Augen über halbhohe Halme von Rotschwingel und Rotstraußgras tanzen, im Zickzack zu den einzeln stehenden Büschen und Bäumen springen dürfen. An die Ohren dringt das eindringliche Zirpen werbender Heuschrecken-Männchen. Im Spätsommer sprenkeln gelb blühendes Johanniskraut und die rötlichen Blütenstände des Ampfers das Hellbraun der an Savanne erinnernden „Wilden Weide“ hier im Tunneltal.
Den kompletten Text inklusive aller Fotos sowie der Tourenkarte zum sammeln und nachwandern erhalten Sie in Heft 1/2016 von wanderlust. Hier können Sie das Heft nachbestellen.

© Beate Wand