Leipzig: Die Vielseitige
Stadt der Musik, der Messen, des Buchhandels und der friedlichen Revolution – Leipzig schöpft aus dem Vollen. Und zelebriert gerade seine 1000-Jahr-Feier. Klingt angestaubt? Von wegen! Die sächsische Metropole ist lebendiger denn je.

© Alexa Christ
Text & Fotos: Alexa Christ
Also gut, zäumen wir das Pferd doch mal von hinten auf. Fangen wir nicht mit Bach, Mendelssohn und Schumann an sondern mit … Karli. Karli wer? Na, Karl Liebknecht, Marxist und Gründer des Spartakusbundes. 1871 in Leipzig geboren, hat ihm die Stadt eine eigene Straße gewidmet. Sie führt vom Zentrum in die Südvorstadt, wird von den Leipzigern nur liebevoll „Karli“ genannt und ist schwer angesagt. Besonders abends. Daran ist die ungeheure Kneipendichte schuld. Hier schmiegt sich Irish Pub an französisches Bistro, sächsisches Szenelokal an Tex-Mex-Laden, Cocktail-Bar an Kulturfabrik. Dazwischen: Bunte Lädchen und viel Gründerzeit-Pracht.
„Ein beliebter Treffpunkt ist die VEB-Löffelfamilie“, verrät der Journalist Carsten Heinke und deutet auf eine wunderbar altbacken wirkende Leuchtreklame, die eine halbe Haushälfte einnimmt: Vater, Mutter und die beiden Kinder löffeln dampfend heiße Suppe. Darunter steht in grün-gelben Lettern: „VEB Feinkost Leipzig. Obst- und Gemüsekonserven, tischfertige Gerichte, doppelt konzentrierte Suppen.“ „In der grauen DDR gab es ja eigentlich keine Leuchtreklame. Die Löffelfamilie ist da eine Ausnahme und hat mittlerweile Kultstatus“, erklärt Heinke, der regelmäßig für die lokale Mitteldeutsche Zeitung schreibt. „Allerdings muss man neuerdings eine Hotline anrufen und einen kleinen Betrag spenden, damit die Löffelfamilie bei Dunkelheit auch schön blinkt.“ Das tut sie aber eigentlich immer. Irgendein spendenbereiter Freiwilliger findet sich stets. Dann setzt die DDR-Musterfamilie den unter ihr liegenden Biergarten ins rechte Licht – und die ehemalige Konservenfabrik nebenan gleich mit. Die fing im 19. Jahrhundert als Brauerei an, versorgte die Leipziger nach dem Zweiten Weltkrieg mit „Dosenfutter“ und wird heute von der Kunst- und Gewerbegenossenschaft Feinkost eG genutzt, einer ständig wachsenden Gruppe Kreativer. Dazu gehören Handwerker, Gewerbetreibende, Künstler und Dienstleister, die in dem romantisch angeranzten Ziegelbau eine ideale Wirkungsstätte gefunden haben. Im dazugehörigen Hof gibt’s sommers Open Air Theater, Freiluft-Kino, Streetfoodfestivals und Konzerte und ein Publikum von Jung bis Alt. Es sind Orte wie dieser, die in den vergangenen Jahren einen wahren Leipzig-Hype ausgelöst haben. Medien wie der Spiegel, die Frankfurter Rundschau oder die Bild-Zeitung nannten Leipzig gar „das bessere Berlin“.
Markt- und Messestadt
Das sei mal dahingestellt, aber in Leipzig herrscht definitiv Aufbruchstimmung. Ohne die Historie zu vergessen, die die Stadt einst groß gemacht hat. 1015 wurde „urbs lipsi“ in der Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg erstmals erwähnt – ein Ereignis, das schon das ganze Jahr über kräftig gefeiert wird. Die offizielle Gründung geht allerdings erst auf das Jahr 1165 zurück, als Markgraf Otto der Reiche Leipzig das Stadt- und Marktrecht verlieh. „Diese Urkunde ist ein einziger Witz – nicht größer als eine Postkarte“, plaudert Stadtführerin Brigitte Haage aus dem Nähkästchen. „Noch dazu klebte Otto sein Siegel falsch rum drauf: die Hufe des Pferdes nach oben, der Kopf nach unten, und er vergaß das Datum.“ Geschadet hat das der Stadt aber nicht. Bereits Ende des 15. Jahrhunderts erhielt Leipzig das Messeprivileg. Und nicht nur das. Im Umkreis von 125 Kilometern durfte keine weitere Stadt Messen veranstalten. Halte deine Feinde klein, und du selbst wirst gedeihen, so könnte das Motto der Leipziger Pfeffersäcke gelautet haben. Es ging auf. Fortan fanden dreimal im Jahr Messen statt. Leipzig prosperierte.
Und dann? Begann Ende des 19. Jahrhunderts die Industrialisierung. Unternehmer schickten ihre Handelsvertreter mit Warenmustern von Haustür zu Haustür. Leipzig drohte als Messestandort zu verkümmern. Doch die geschäftstüchtigen Sachsen hatten eine zündende Idee. Was, wenn die Aussteller nur noch Muster präsentierten? Der Kunde wählte danach aus, geliefert wurde später. Damit war die Leipziger Mustermesse geboren, die erstmals 1895 abgehalten wurde. Sie prägte auch optisch das Bild der ohnehin schon sehr ansehnlichen, wohlhabenden Bürgerstadt. Das neue Messekonzept erforderte nämlich Platz für große Messetempel, weshalb kurzerhand das ein oder andere abgerissen wurde. Da ist der Leipziger nicht zimperlich. Am Neumarkt entstand 1903 das neobarocke Städtische Kaufhaus, der erste Mustermessepalast der Welt mit 4.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche. „Bis 1930 wurden 50 dieser Mustermessehäuser gebaut, dazu noch etliche Passagen und Durchhöfe – eine echte Leipziger Besonderheit“, erzählt Brigitte Haage. „Viele von ihnen beherbergen heute Hotels, Restaurants, Geschäfte oder Theater. Sie sind nach dem Verfall zu DDR-Zeiten wieder in neuer Pracht erblüht.“ Einer davon ist der Kretschmanns Hof, ein lichter Stahlbetonskelettbau, der sich um einen weiß gefliesten Innenhof zusammenfügt. Unter der dort angebrachten „Klangdusche“ kann sich der interessierte Besucher anhören, wie die Stadt im 18. Jahrhundert klang – Kutschenknattern und Vogelgezwitscher – oder 100 Jahre später: Pferdetram und Zeitungsverkäufergeschrei. Dazu gibt es wahlweise Musik von Johann Sebastian Bach oder Edvard Grieg.

© Alexa Christ
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