Aussteiger in der Eifel: Verfall gehört zum Leben

Der Künstler Ekkehard Welkens wollte sein Leben nicht für die Werbewelt ­aufgeben. Er entschied sich für die Einsamkeit. Dort zeichnet er heute alles, was zur Natur ­gehört – auch den Tod.

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Naturbursche: Der Grafiker Ekkehard Welkens führt auf seinem Eifelhof ein spartanisches Leben. © Karin Bünnagel

Text: Karin Bünnagel

Jeden Tag das Gleiche: aufstehen, mit dem Hund raus, frühstücken, arbeiten, essen und wieder mit dem Hund raus, schlafen. Ein klarer, fester Rhythmus. Wo bleibt der Platz für die Kreativität? Ekkehard Welkens nimmt ihn sich. Er hat nämlich einen kreativen Beruf, er ist freischaffender Zeichner. Seine Inspiration holt er sich deshalb in der Natur, wenn er mit seinem Hund Moses, einem einjährigen Appenzeller, stundenlang draußen in der Eifel spazieren geht. „Dinge, die mich faszinieren, nehme ich so mit, wie ich sie finde: zum Beispiel Blätter, Blüten, Schneckenhäuser, Holzstücke oder Steine. Dabei würde ich nie eine Blüte abschneiden oder ein Blatt vom Baum reißen“, erzählt Welkens.

Zu Hause auf einem alten Bauernhof in Aremberg, das zum Kreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz gehört, zeichnet er seine Fundstücke eins zu eins ab. Mit Stift oder Pinsel, in Blei oder Sepia, originalgetreu und ohne Umgebung oder Beiwerk. „Sehr realistisch“, sagen die Betrachter zu den Zeichnungen, „gewissenhaft“ nennt der Künstler seine Arbeit.

Der Blickwinkel und das Licht müssen ganz genau stimmen, damit der Zeichner jedes Detail der zarten Blattadern und die feinste Maserung erkennt und die Natur exakt auf das Zeichenpapier übertragen kann. Den Arbeiten merkt man an, dass sich Welkens intensiv mit der Materie beschäftigt hat. Statt von Darstellungen zu reden, passt der Begriff des Porträts viel besser. Seine Kunst ist ruhig und gleichzeitig intensiv.

Dazu arbeitet Welkens je nach Objekt eine Woche bis hin zu eineinhalb Jahren an seinen Werken. „Als ich einen toten Bussard in einem Apfelbaum fand und mitnahm, musste ich gegen den Verfall des Vogels arbeiten“, erinnert er sich. „Ich konzentriere mich hundertprozentig auf meine Arbeit und beginne nur parallel mit einem zweiten Blatt, wenn die Umstände es wirklich zwingend erfordern.“

Alle seine Exponate stammen aus der Eifel. In der Natur würde man sie übersehen, an ihnen vorbeilaufen, und man fragt sich: Was will er mit dem toten Zeugs? Das Geweih, das ein Hirsch nach der Paarungszeit abgeworfen hat? Ein Blatt, vom Winde verweht, das sich bereits auflöst? Für Welkens ist die Sache klar: „Diese Gegenstände sind Teil der Schöpfung, ihre Lebensspur macht sie unsterblich.“ Auch der Verfall gehört eben zum Leben dazu, neben der Opulenz. Unscheinbare Gegenstände bestaunen – genau das erreichen die Zeichnungen von Welkens. Mit seinen Arbeiten möchte er dem Betrachter „das Sehen zurückgeben“.

Auf das Wesentliche reduziert

Vor 15 Jahren zog Welkens in ein Bauernhaus aus dem Jahr 1627. Vier Jahre lang stand das Haus vorher leer, ein Jahr dauerten die Renovierungsarbeiten. Es ist sehr karg eingerichtet, ohne Fern­seher oder Radio, und erinnert an eine Mönchszelle. In jedem Zimmer hängt ein Kruzifix. Welkens ist ein religiöser Mensch. Er lebt zwar spartanisch, aber nicht dem Leben abgewandt. Für seine ­Arbeit braucht er Räume mit Ruhe und Bezug zur Metaphysik.

Nach seiner Ausbildung zum Steinmetz studierte er Grafik und arbeitete erfolgreich als freier Grafiker und Illustrator für die Werbung. Er spürte jedoch eine zunehmende Unzufriedenheit mit seinem Job und den Aufträgen, die ihm seine Kunden gaben. Bis er sich entscheiden musste: richtig groß mit mehreren Kollegen ins Geschäft einsteigen oder seine ­„Lebenszeit verantwortlich gestalten“. In seinem Fall bedeutete diese Entscheidung, ein einfaches, klares Leben in der Eifel zu führen. Verwurzelung bedeutet für ihn, ein Haus zu haben, ein Stück Erde zu bearbeiten.

Natur zum Leben

Auf Anhieb fand er dann durch einen glücklichen Zufall den alten Bauernhof in der Eifel und verlagerte sein Leben dorthin. „Meine Eltern hatten in Kronenburg im Kreis Daun ein Wochenendhaus, ich habe in der Eifel sozusagen Laufen gelernt. Die Natur und die Landschaft hier sind für mich lebensnotwendig.“

Diese Natur nutzt er, hält sie fest auf seinen Bildern. Und das Echo ist groß: Zu seiner letzten Ausstellungsreihe kamen 10.000 Besucher, um die 15 gezeigten Bilder zu betrachten. Und er möchte der Region, in der er lebt, etwas zurückgeben – er entschied sich für Kammermusik. Die erste Reaktion: Vergiss es, hier mögen sie nur Blasmusik und Grillkoteletts, du bleibst jeden Abend allein. Doch falsch gedacht! 2011 fand das Kammermusikfest, zu dem mittlerweile internationale Künstler eingeladen werden, zum siebten Mal statt. Ab diesem Jahr organisiert Welkens statt an fünf Tagen zwischen Weihnachten und Silvester sogar 15 Veranstaltungen von Anfang Oktober bis Mitte November in einer alten Mühle in Antweiler. So bringt der Zeichner seine bodenständige, schnörkellose Kunst und diese ernsthafte Musik in der Eifel zusammen.

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Dieser Artikel ist aus der Ausgabe: wanderlust Nr. 02 / 2012

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