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Einstieg ins Bergwandern

Seit den ersten knarzigen Lederstiefeln ist viel passiert an Wanderers Füßen. Wanderschuhe und Wanderstiefel sind technischer, ergonomischer und vor allem spezialisierter geworden. Eine der interessantesten Klassen, weil sehr universell, sind die Einstiegsschuhe.
Dunkelgrüner Zustiegschuh auf Felsen mit nahmen Fokus auf die Sohle.
©

Timo Dillenberger

Auch wenn Plakate und Werbeclips Wandern fast automatisch im Hochgebirge ansiedeln, findet doch der größte Teil im flachen Gelände und im sanften Mittelgebirge statt. Die schönen Bilder auf zerklüfteten Graten oder Wiesen oberhalb der Baumgrenze faszinieren aber jeden, der schon lange oder erst seit Kurzem die Wanderschuhe schnürt. Zeit um- bzw. aufzusteigen und sich an die erste wirkliche Gebirgswanderung, vielleicht sogar einen echten Klettersteig, zu wagen? Dann aber nicht ohne Blick auf das Equipment. Allzu oft sammelt die Bergwacht unter anderem in Österreich nach eigener Auskunft Menschen unter gefährlichen Bedingungen ein, die sich selbst über- bzw. die Rolle des Equipments in Sachen Sicherheit, Verantwortung und auch Spaß vollkommen unterschätzt haben.

Kernelement sind hier, mal vom Sicherungsgurtzeug für Kletterpassagen abgesehen, definitiv die Wanderschuhe! Ohne deren Halt, Schutz und Kontrolle ist man selbst mit guter körperlicher Konstitution im Gebirge eher Passagier als Pilot. Das berichten unser Expertenduo Kathrin Schöne und ihr Mann Oliver Wirtz aus erster Hand und eigener Erfahrung. Es sei schon unangenehm, wegen falschem Material nicht weiter zu kommen oder in gefährliche Situationen zu geraten, aber durch die „Tollpatschigkeit, Arroganz und Ignoranz anderer“ mehr Risiko als nötig eingehen zu müssen, das sei mit das Schlimmste im Hochgebirge. „Man muss ja schließlich helfen, wenn jemand in Problemen ist, ganz gleich, ob jemand unverschuldet da reingeraten ist oder weil er oder sie meint, in Flipflops über den Dachstein flanieren zu müssen – oder zu können!“, finden die beiden klare Worte. Ausgangspunkt für alle Touren ins Gebirge sei die ehrliche Selbstreflektion und Vorbereitung. Nur wenn man wisse, was auf einen zukomme und was man wirklich könne, seien unerwartete Gefahren auf ein Minimum zu reduzieren.

Große Ansprüche für den Wanderschuh

Der große Unterschied zwischen Hügeln und Bergen beim Wandern sind die jeweiligen Trittflächen. Während man auf ebenen Wegen und Trails in 99,9 Prozent aller Schritte auf der gesamten Trittfläche vom Hacken zum Ballen abrollen kann, ist genau dieser Bewegungsablauf im Hochgebirge deutlich rückläufig. Selbst auf der Strecke zum Berg hin sind Wege oft so steil, dass Auffersen kaum mehr möglich ist, das Gewicht geht direkt auf den Vorfuß. Auf dem Rückweg berührt genau hier fast nur die hintere Kante des Schuhs den Boden und muss hier gewaltige Bremsarbeit zuverlässig leisten. Loser Untergrund macht das jeweils noch komplizierter für Sohle und Wanderer. Wichtig ist dabei immer das Verhältnis aus Steifigkeit und Taktilität der Sohle, wie gut man also noch spürt, was da unter einem passiert.

Beim Übergang vom Weg am Fuß des Anstiegs zum felsigen Teil wird das noch deutlicher, denn hier berührt man kaum mit der Hälfte der Kontaktfläche der Sohle den Boden. Grobes Gestein, Felsgrate, Stufen, Nischen, Stahlbügel, minimale Vorsprünge oder sehr weit seitliche geneigte Trittflächen erfordern gleichzeitig eine Sohle, die das Körpergewicht durch ihre Steife verteilt, sonst fühlte sich das so an, als würde man barfuß auf einen Legostein treten, und trotzdem muss man noch fühlen könnten: Ist der Untergrund rutschig, fest oder weich, wie weit ist er geneigt, gibt er in eine Richtung nach, hab ich genug Halt für einen festen Abdruck, oder mach ich lieber einen Zwischenschritt?

Ansprüche für den Kletterschuh

Bei reinen Kletterschuhen muss man selbst auf kleinsten Felsnasen stehen können, bei Spezialisten fürs Gehen wiederum zählen nur Taktilität und geringer Abrollwiderstand. Zustiegschuhe liegen hier quasi jeweils im „Mittelfeld“, mit individuellen Verschiebungen. Der klettererfahrene Oliver zum Beispiel bevorzugt seine weniger torsionssteifen La-Sportiva-Halbschuhe, während Kathrin sich noch nicht ganz so trittsicher fühlt und eher auf Schäfte über dem Knöchel und festere Sohlen setzt. Salewea und Scarpa haben wir hier entdeckt.

Zwei verschieden Zugstiegsschuhe während des Aufstiegs auf felsigem Untergrund.
© Timo Dillenberger

Testfeld und Testgelände

Ausgeschrieben wurden für diesen Test Zustiegschuhe, weniger für den Profikletterer, eher für all diejenigen, die eben nicht drei oder vier paar Wanderschuhe ihr Eigen nennen, Einsteiger und „Neuaufsteiger“ zum Beispiel. Unser Testfeld eignet sich durchweg nicht nur für die Strecke von der Unterkunft bis an den Einstieg in die Kletterwand, sondern ist vielmehr so etwas wie der Übergangsschuh, der als Allrounder sowohl im Flachland funktionieren als auch mehr oder weniger anspruchsvolle Gebirgstouren sicher mitmachen würde.

Manche Wanderschuhe erfordern gar kein zweites oder drittes Paar, zeigen dafür aber Schwächen als Bergziege oder Kilometerfresser. Wo der unserer Meinung nach ideale Einsatzbereich der Modelle liegt, haben wir in den Testkästen grafisch dargestellt, einmal wegen der Übersichtlichkeit, aber auch, um Interpretationsspielraum zu geben, je nachdem, wie erfahren, sicher und fit der potenzielle Käufer in den Bergen schon ist.

Wanderschuhe für jeden Typ

Um diese individuellen Stärken und Schwächen sowie den Einsatzbereich herauszuarbeiten, haben wir mit den Testschuhen eine felsige Halde immer und immer wieder „erstürmt“. Sie bot vom weichen, sanft ansteigenden Waldweg bis zu schroffen, steilen Felsen und sogar kleinen Kletterpassagen alle Anforderungen auf engstem Raum. Unser Fazit: Je mehr Erfahrung und Sicherheit die jeweilige Testperson mitbrachte, desto weniger genau zum Terrain passend musste der Schuh sein.

Heißt runtergebrochen auf eine etwaige Kaufentscheidung: Versierte Wanderer mit Vorerfahrung im Gebirge können ruhig auf ein spezialisiertes Modell setzen und sich dessen besonderer Fähigkeiten erfreuen, sie kommen an anderer Stelle mit den kleinen Nachteilen besser zurecht. Wer mit dem Gebirgswandern beginnt und vielleicht noch gar kein hochwertiges Paar Schuhe besitzt, sollte eher bei den Allroundern bleiben und die wirklich schweren Klettersteige und Bergpassagen vorerst einfach auslassen.

Blauer Zustiegsschuh beim während des Abstiegs auf erdigen Untergrund.
© Timo Dillenberger
© Timo Dillenberger, Gindlkante 5, O. Wirtz

Expertise vom Gindlhorn

Seit knapp 20 Jahren sind Kathrin Schöne und Oliver Wirtz nicht nur in Köln eine feste „private“ Seilschaft, sondern auch auf unzähligen Trips in die Berge; früher mit Zelt, heute gönnen sich die Mittvierziger den Luxus eines voll ausgestatteten Campers. In ihm warten mindestens je drei Paar Schuhe auf ihren Einsatz – vom leichten flexiblen Halbschuh über den klassischen festen Stiefel bis hin zum reinen, hautengen Kletterschuh. Die Masse und Bandbreite erklärt sich nicht nur aus der langjährigen Wanderhistorie. Das Duo kennt zu jedem Schuh auch den individuellen Einsatzzweck, wobei ihre Zustiegschuhe zu den variabelsten Spezialisten zählen. Wichtiger Praxistipp: „Es gibt auch ein zu fest, zu klobig. Zum einen fehlt da das Gefühl in der Fußspitze, zum anderen tritt man mit zu massiven Schuhen eher Steine los, die für Wanderer hinter einem zu gefährlichen Geschossen werden können.“

Im Artikel "Zustiegschuhe im Test" stellen wir ausgewählte Modelle vor.

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