Sanfter Tourismus ist in aller Munde! Gleichzeitig steigt aber das Interesse an der Natur und deren Schönheit. Die Lösung sind Ferngläser, mit denen man mitten in der Natur ist, ohne sie gleichzeitig zu stören, mit denen man Details beobachten kann, als würde man gleich vor dem Objekt der Begierde stehen, ohne sich unnötig weiten Wegen oder gar Gefahren auszusetzen, und mit denen man wörtlich mittendrin statt nur dabei ist.
Wie nah und wie real das Erlebnis durch die Linsen ist, hängt von vielen, teils sehr technischen Faktoren ab. Schon mal vorweg: Alle Experten der Hersteller, mit denen wir gesprochen haben, empfehlen, weniger den Datenblättern zu vertrauen, sondern im Quervergleich zwischen Modellen zu entscheiden. Wie naturgetreu Farben zum Beispiel rüberkommen oder wie hell das Objekt trotz Vergrößerung noch zu sehen ist, könne man ohne zweites, drittes oder viertes Fernglas zwar sehen, aber ganz schwer einordnen. Das ist ein klarer Fingerzeig auf den Fachhandel. Welche Eigenschaften beim Kauf eines Fernglases wichtig sind, welche Empfehlung die Experten hier geben und wie man sie vor Ort „herausfindet“, haben wir kurz zusammengefasst.
Die wichtigsten Ansprüche an ein Fernglas
Vergrößerungsfaktor: Jedes Fernglas wird mit einem Produkt an Zahlen benannt, z. B. 8 x 35 mm. Der erste Faktor gibt an, um wie viel näher man an das zu beobachtende Objekt herankommt. Aus 800 Metern würden hier 100. Für den Outdoorbereich empfehlen unsere Experten 8- oder 10-fache Vergrößerung. Mehr ist hier nicht unbedingt besser, denn auch körpereigene Bewegungen werden um den Faktor verstärkt, „Ferngläser mit 12-facher Vergrößerung und mehr lassen sich ohne Stativ oder Auflage schwer ruhig halten“, erklärt Dirk Fehst, Brand Manager bei Minox.
Linsendurchmesser: Der zweite Faktor beziffert die „Größe“ der Lichteinfallöffnung, sozusagen das Nadelöhr, durch das das Licht ins Glas eindringt. Je höher der Wert, desto wuchtiger und schwerer wird das Fernglas. Dafür bedeutet eine größere Frontlinse auch noch ein gutes, ausreichend helles Bild bei Dämmerung. Wer nicht gerade dann Tiere beobachtet, wie z. B. Jäger, und mehr Wert auf leichten Transport legt, sollte hier laut Markus Anacker von Eschenbach Optik im Bereich bis oder um 32 mm bleiben, für lange Wanderungen solle man sogar die 25-mm-Grenze anpeilen.
Sichtfeld: Zum großen Teil bestimmt der Vergrößerungsfaktor eines Fernglases, wie breit bzw. weit der Bereich ist, den man einsehen kann. Angegeben wird das Sehfeld bei einem Blick auf ein 1.000 Meter weit entferntes Ziel. Einschränkend können hier auch Passungenauigkeiten am augseitigen Ende des Fernglases sein. Das Sehfeld ist wichtig, wenn es Objekte vor einem unruhigen Hintergrund zu suchen oder deren Bewegung zu verfolgen gilt. Vergleichbar ist das mit dem Verfolgen eines Tennisballs unmittelbar am Spielfeldrand oder auf den Rängen. Bei engen Sehfeldern muss man sehr langsam das Gebiet „scannen“, um ein Objekt zu finden. Testen kann man das Sehfeld am besten an einer Häuserreihe. Technische Features wie u. a. bei Bresser (SWA) können das Sehfeld erhöhen, auch „Wölbungen des Sehfeldes tun das, aber zu Lasten der Randschärfe. Wird das Sehfeld in Grad angegeben, muss man den Wert mit 17,45 multiplizieren, um den Vergleichswert in Metern zu erhalten.
Farbechtheit: Durch Lichtbrechung in den Prismen des Fernglases und verschiedene Veredelungen des Glases, z. B. gegen Reflexionen oder Streulicht, können Farben abweichend von der Natur dargestellt werden. Gerade Vogelbeobachter mögen das gar nicht. Besonders das lässt sich im Laden nur gegen andere Ferngläser testen. Daniel Nindl, Chef-Produktmanager bei Swarovski Optik, empfiehlt hier den vergleichenden Blick auf eine weiße Fläche, ähnlich wie der Weißabgleich beim Fotoapparat. Auch Straßenschilder, deren Farbgebung man gut kennt, eignen sich als Vergleichsobjekt.
Randschärfe: Den Mittelpunkt des Bildes kann man bei jedem Fernglas abhängig von der Entfernung des Objekts scharfstellen. Durch weniger gute Verarbeitung der Glaselemente und/oder künstliche Erweiterung des Sichtfeldes kann das Bild zum Rand hin aber unscharf werden. Für den statischen Blick gerade noch akzeptabel, wird es jedoch sehr schwer, sich bewegende oder über eine Fläche verteilte Objekte zu beobachten, wie z. B. eine Rotte Wildschweine, da einzelne Objekte in die Unschärfe eintauchen und man den Kopf statt der Augen bewegen muss. Daniel Nindl schlägt hier das „Abrollen“ des Bildes mit den Augen vor, um Randunschärfen zu entdecken – heißt, der Kopf bleibt unbeweglich, nur die Pupillen sehen nach links und rechts durchs Fernglas. Einigen Menschen wird übrigens durch Randunschärfe und Bewegen des Fernglases regelrecht übel!
Pupille und Brennpunkt: Die Austrittspupille, also der Bilddurchmesser am Auge, kann zwar schlecht gemessen, aber aus dem Quotienten von Objektivdurchmesser und Vergrößerungsfaktor errechnet werden. Größer als sieben Millimeter braucht er nicht zu sein, da die Pupille des Menschen sich nicht weiter öffnet. Je kleiner der Wert, desto eher sieht man schwarze Ränder um das Bild, besonders bei wenig Licht, wenn sich das eigene Auge weit stellt. Markus Anacker von Eschenbach hält das „Einblickverhalten“ sogar für eine der entscheidenden Qualitäten.
Gewicht und Haptik: Nicht zu unterschätzen ist sozusagen die Kompatibilität von Menschen und Gerät. Die Masse des Fernglases spielt hier eine wichtige Rolle. Schwerere Ferngläser sind träger und übernehmen das „Wackeln“ der Hände weniger leicht, dafür strengt langes Hochhalten umso mehr an. Anacker gibt als grobes Limit 1.000 Gramm vor; ist die Dämmerungszahl (DMZ) wichtig, auch etwas mehr, für den Einsatz beim Wandern aber besser spürbar weniger. Auch wie man den Korpus greift, hat Einfluss auf die Ruhe und die muskuläre Anstrengung beim Halten. Mit einer Öffnung zum Durchgreifen und ergonomischer Taillierung versucht z. B. Swarovski Optik, den Komfort gezielt zu erhöhen. Auch das Verstellen der Schärfe sollte weich gleitend sein, um das Bedienteil ohne Umgreifen zu erreichen. Das ist im Laden sehr leicht herauszufinden.
Nahpunkt und Brennweite: Wie bei Fotoapparaten kann man mit Ferngläsern auch nicht endlos nah an ein Objekt heranzoomen, irgendwann endet der einstellbare Fokusbereich. Bei Naturbeobachtung aus der Ferne spielt das aber eine untergeordnete Rolle. Die Brennweite gibt an, wie weit das Auge vom Lichtaustritt weg sein darf, ehe aus dem formatfüllenden Bild zwei nicht übereinanderzubringende Einzelbilder werden. Gerade für Brillenträger ist es interessant, hier einen nicht zu kleinen Wert zu haben. Wichtig: Im Test gab es Modelle, deren Augenabstand nicht so nah aneinanderzubringen waren, wie das mancher Tester brauchte. Die nötige Distanz kann man von einer zweiten Person mit Lineal grob messen lassen. Die Skala dazu an die Stirn anlegen und den Abstande der Pupillenmitte messen, während man sehr weit, also an dem Messenden vorbei, in die Ferne blickt.
Auflösung und Kontrast: Das Fernglas selbst hat keine Bildpunkte wie eine Digitalkamera, trotzdem ist von Auflösung die Rede. Gemeint sind die „Pixel“ des Auges. Man könnte einfacher von Bildschärfe sprechen. Optische Geräte können feinste Linien durch kleine Fehler „verwischen“, man hätte z. B. beim Blick auf Texte an der Wand das Gefühl, nicht ganz hundertprozentig scharf stellen zu können. Auch Turmuhren abzulesen ist ein guter Test hierfür. Und wenn man schon auf Gebäude schaut: Laut Swarovski Optik lassen sich an den kontrastreichen Linien zwischen Häusern und Himmel sogenannte Farbsäume gut erkennen – das sind farbige Schlieren entlang solcher „Kanten“, die bei feinen Mustern wie ein Gefieder schwer zu bemerken sind, aber den Gesamteindruck verfälschen.
wanderlust -Empfehlungen: Beim Test an Naturszenen bei Tag und am Abend, beim Blick auf weit entfernte Häuserfronten am Rhein sowie bei einem C-Jugend-Fußballspiel hatten wir Gelegenheit, über 20 Ferngläser gegeneinander zu testen. Erst danach hatten wir ein Gespür für die Unterschiede, hinzu kamen individuelle Vorlieben. Die Unterschiede werden mit steigendem Preis eher kleiner, aber sie sind da.
Drei Fernglas-Tipps von wanderlust
Wer beim Wandern gerne in der Landschaft umhersieht und sich orientiert, vielleicht hier und da einen Blick auf Tiere erhaschen oder Bauwerke näher bewundern will, sollte auf kompakte Maße und wenig Gewicht mit einer Vergrößerung von 8 setzen, 80 bis 250 Euro reichen hier allemal!
Wer sich intensiver mit der Natur einlassen will, gerne auch für ein Stündchen anhält und beobachtet, aber das in wirkliche Wanderungen integriert und nicht umgekehrt, der sollte ab 200 Euro ausgeben, und dafür ein 8er- oder 10er-Fernglas mit einem Linsendurchmesser ab 30 mm erwerben. Es sollte gut gegen Staub und Wasser geschützt sein. Ein weites Sichtfeld, Randschärfe und gute Dämmerungszahl haben hier mehr überzeugt als schiere Vergrößerung und geringes Gewicht.
Die echten Naturbeobachter oder „Birder“ (Vogelkundler) müssen nicht unbedingt tiefer in die Tasche greifen, aber schwerer tragen: 10- oder gar 12-fach-Vergrößerung darf es hier sein, mit 40er-Linsen und meist mit Porroprismen* stehen Maße und Gewicht weit hinter hochwertigen, farbtreuen Linsen, top Kontrasten und top Lichtstärke zurück. Aber es lohnt sich, gerade wenn man Tiere sehen will, die nicht auf einer Lichtung oder erst gen Abend aktiv sind. Etwa 250 bis 2.000 Euro kann man hier ausgeben.
Was die Pflege und den Werterhalt angeht: Wichtig ist besonders der Schutz gegen Herabfallen und Schläge, die die hochpräzisen Optiken teils unsichtbar in ihrer Performance beschneiden. Schmutz, vor allem trocknender Staub und Sand, sagen unsere Experten von Minox, Eschenbach und Swarovski Optik, solle man eher wegpinseln oder -pusten als wegwischen, um die hauchzarten Beschichtungen (Vergütungen) nicht zu gefährden. Wasserdichte Modelle könne man auch abspülen, danach aber abtrocknen! Ein Fetten der Mechanik sei nicht nötig.
Im Artikel "Ferngläser im Test" stellen wir 18 verschiedene Modelle genauer vor.