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Das Dorf der Störche

Rund 30 Storchenpaare nisten jedes Jahr im brandenburgischen Rühstädt, Deutschlands einzigem „Europäischen Storchendorf“. Die Einheimischen haben eine besondere Beziehung zu den Vögeln aufgebaut. Wir haben das Dorf besucht und ebenfalls unsere Liebe zu Adebar und seiner Familie entdeckt.
Storchennest auf Kamin.
©

Oliver Gerhard

Jedes Jahr Ende Februar beginnt das Hoffen, Bangen und Warten. Dann suchen die Einwohner des Dörfchens Rühstädt immer wieder den Himmel ab oder blicken sehnsüchtig aus dem Fenster zum nächsten Storchenhorst. Und viele fragen sich: Kehren die Weißstörche wohlbehalten aus Afrika zurück? Wie viele Brutpaare finden diesmal zusammen? Wie viele Jungtiere können im August auf die Reise nach Süden gehen?

„Leute mit Storch auf dem Hof haben eine sehr enge Bindung zu ihm“, erklärt der Storchenbeauftragte Falk Schulz. „Manche werden sogar krank, wenn der Storch mal nicht da ist, und machen sich Sorgen, wenn er keine Jungen bekommt.“ Ein bisschen Konkurrenz gibt es aber auch: Alle verfolgen mit Argusaugen, welcher Horst als erstes besetzt wird – ein inoffizieller Wettbewerb.

Wer zuerst kommt, brütet zuerst

Falk Schulz kennt die Störche im Landkreis Prignitz wie kein anderer, er übernahm schon 1984 gemeinsam mit seinem Vater ihre Betreuung. Ehrenamtlich – denn eigentlich arbeitet er als Landschaftsplaner. Im Auftrag des NABU koordiniert er das Monitoring der Bestände, fährt im Frühsommer mit einer Hebebühne von Nest zu Nest, um Jungstörche zu beringen, und überprüft die Altvögel anhand ihrer Ringnummern.

„Dieses Jahr kam der erste Storch am 6. März, kurz darauf der zweite“, berichtet er. Wenig später begannen die beiden Tiere mit dem Nestbau. Es sind wahrscheinlich sogenannte Westzieher, die aus Westafrika über Gibraltar einfliegen – oder gleich komplett auf der Iberischen Halbinsel überwintert haben. Die Ostzieher kommen meist erst Mitte April über den Bosporus aus dem südlichen Afrika. Sie müssen mit den verbliebenen Horsten vorlieb nehmen und können erst später anfangen zu brüten – ein Problem, wenn dann schon Dürre herrscht.

Die Geschichte von Rühstädt mit und ohne Storch

Beim Rundgang durch die 240-Einwohner-Gemeinde im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe-Brandenburg kann Schulz zu jedem der Horste eine Geschichte erzählen – bis zu vier Stück thronen auf einem Dach. Genau 70 Standorte hat er alleine in Rühstädt erfasst, im gesamten Landkreis sind es rund 700. Am malerischsten liegt der Horst auf dem Wasserturm von 1883, dem Wahrzeichen des Ortes. „Einer der ältesten Standorte“, sagt der Experte. „Seit den 50er-Jahren kamen auf ihm insgesamt 138 Jungstörche zur Welt.“

Rühstädt ist ein Bilderbuchdorf mit einer Kirche aus dem 15. Jahrhundert, gepflegten Backsteinhäusern und üppigen Bauerngärten, in denen Kirschen und Äpfel reifen. Im Herzen des Ortes liegt das historische Schloss, das schon als Schule, Konsum und Postamt diente – heute ist es ein Hotel. Der angeschlossene Park entstand einst rund um einen Altarm der Elbe.

Kirchturm hinter Kirschblütenbaum.
© Oliver Gerhard

Die Liebe zum Storch

In der verwunschenen Anlage verbinden Alleen knorriger Buchen den historischen Eiskeller, einen Sandsteinobelisken und das Erbbegräbnis des Adelsgeschlechts derer von Quitzow. Botanikfans entdecken beim Spaziergang viele exotische Gewächse, darunter einen mächtigen Mammutbaum, der alles andere überragt. Die Stille im Park wird nur hin und wieder von Schnabelklappern unterbrochen.

Rühstädts Storchentradition reicht bis in die 1950er-Jahre zurück, als die ersten Weißstörche einzogen. Dank der nahegelegenen Elbauen fanden sie reichlich Futter. Und immer mehr Einwohner halfen, indem sie Wagenräder oder andere Nisthilfen installierten. Bald galt Rühstädt als storchenreichster Ort der DDR – in der Bundesrepublik zählte damals Bergenhusen in Schleswig-Holstein die meisten.

Rühstädt wird zum Storchendorf

Seit 1996 trägt Rühstädt den Titel „Europäisches Storchendorf“ der Stiftung EuroNatur. Nur eine Gemeinde in jedem Land erhält diese Auszeichnung – nicht nur wegen der Zahl der Brutpaare, sondern auch aufgrund des Engagements seiner Bewohner. So verlegte man die Stromleitungen in Rühstädt zum Schutz der Tiere unterirdisch; Einwohner gründeten einen Storchenclub, der sich bei der Pflege der Horste engagiert – dem sogenannten Bettenmachen; Gärtner lassen Schnittgut zum Nestbau liegen; manche Landwirte mähen ihr Grünland nur streifenweise, um Futterstellen zu erhalten. Und so mancher verletzte Vogel wurde schon aufgepäppelt. Das Füttern ist jedoch verpönt: Es schafft eine Prägung auf den Menschen, die sich nicht rückgängig machen lässt.

Doch die Rühstädter kennen auch die Dramen des Storchenlebens: „Manchmal beobachten wir ihre Kämpfe – einmal kam ein junger Storch dabei ums Leben“, erzählt Isolde Gorsboth, die von ihrer Mietwohnung im Herzen des Dorfes aus drei Horste im Blick hat. „Das sind nicht nur liebliche Klapperstörche, sondern richtig starke Tiere. An solchen Erlebnissen nehmen wir gefühlsmäßig intensiv teil – wir möchten, dass es ihnen gutgeht!“

Storchennest auf Hausdach.
© Oliver Gerhard

Störche als Kunstobjekt

Gorsboth verbrachte ihre Kindheit und Jugend auf einem Bauernhof in der Region – mit Storch auf dem Dach. „Klapperstorch, du Bester, bring mir eine Schwester! Klapperstorch, du Luder, bring mir einen Bruder“, sang sie damals mit den anderen Kindern im Dorf. „Ich hatte zwar einen Bruder, aber der hat mir nicht gefallen“, sagt die Künstlerin und lacht. Seit sie vor zehn Jahren in die Prignitz zurückkehrte, lebt die 73-Jährige ihre Liebe zur Region und den Störchen in ihren Aquarellen aus.

Dann kamen die Dürresommer der vergangene Jahre: „Wir nehmen Anteil an jedem kleinen Störchlein – deshalb war es erschütternd zu erleben, wie die Altstörche in einem Horst drei ihrer vier Jungen herauswarfen. Die Tiere haben ein genaues Gefühl dafür, wie viele Jungtiere sie angesichts des Futtermangels durchbringen können.“

Schwere Zukunft für den Klapperstorch

Auch die offizielle Statistik spricht Bände: Im Jahr 2022 überlebten bei 26 Brutpaaren nur 19 Jungstörche, so wenige wie nie zuvor – nachdem es früher selten unter 30 waren. Damit die Art ihren Bestand langfristig erhält, muss jedes Brutpaar durchschnittlich zwei Junge durchbringen, lautet eine Schlüsselzahl. „So viele hatten wir seit Jahren nicht – ein Signal dafür, dass die Population auf Substanz lebt“, sagt Jan Dierks, Leiter des Rühstädter Besucherzentrums des NABU. „Wenn es so weiter geht, wird der Bestand sinken.“

Ein fünfköpfige Storchenfamilie benötigt pro Tag rund 6,5 Kilo Nahrung, erfahren die Gäste in der multimedialen Ausstellung, die gerade erst neu gestaltet wurde. „Besonders kritisch sind die ersten drei bis vier Wochen nach dem Schlüpfen, wenn die Jungen viel kleinteilige Nahrung benötigen“, erklärt der promovierte Landschaftsökologe. „In unseren Breiten fressen sie vor allem Regenwürmer, aber diese ziehen sich bei der Trockenheit tief in den Boden zurück“. Es gibt zwar genügend Mäuse, doch diese können die winzigen Babystörche nicht schlucken.

Backsteinhaus hinter blühendem Kirschblütenbaum.
© Oliver Gerhard

Probleme nicht nur durch den Klimawandel

Nicht nur die Dürre bereitet den Störchen Probleme, sondern auch Symptome des Klimawandels wie Starkregen sowie Auswirkungen der intensiven Landwirtschaft: die Abnahme von Weideflächen, die Entwässerung durch manche Betriebe oder der Maisanbau. „In diesen Feldern kann der Storch nicht landen und findet keine Beutetiere – das ist, als wäre die Landschaft für die Vögel asphaltiert“, sagt Dierks.

Den Titel als storchenreichster Ort musste Rühstädt deshalb schon an Uehlfeld in Bayern abgeben. Doch es bleibt weiterhin Europäisches Storchendorf, dank des Einsatzes der Rühstädter für „ihre“ Tiere.

Abendliches Vogelkonzert im Storchendorf

Je größer der Nachwuchs im Juni und Juli wird, desto spannender ist die Beobachtung der abendlichen Fütterung. Die Atmosphäre im Dorf ist ganz besonders, wenn kurz vor Sonnenuntergang das Konzert der Vogelwelt sein Crescendo erreicht: das Gezwitscher der Spatzen, das Gurren der Tauben, das heisere Trompeten von Kranichen in der Ferne – und schließlich das Klappern der Störche, denn die Jungtiere werden langsam ungeduldig.

Den ganzen Tag über haben sie sich geputzt, nach Flöhen gepickt, den Horst nach Futterresten vom Vorabend durchwühlt und den Menschen zugeguckt, die unter ihren Dächern standen. Nun wird es Zeit fürs Abendessen – ein Spektakel, das man am besten vom „Storchenbalkon“ aus beobachtet, einem alten Speicher, von dem man rund ein Dutzend Horste im Blick hat.

Herbstliche Baumallee hinführend zu herrschaftlichen Haus.
© Oliver Gerhard

Ohne Storch fehlt etwas

In der Dämmerung zeichnen sich die ersten Rückkehrer am Himmel ab. Bald hallt der ganze Ort wider vom Schnabelklappern, Fiepen und wilden Flügelschlagen, wenn sich die Jungen über das mitgebrachte Futter hermachen, das die Eltern wieder hervorwürgen. Bis Mitte August müssen sie stark genug sein, um die Reise nach Afrika gemeinsam mit einigen erfahreneren Störchen anzutreten. Die Eltern folgen meist erst zwei Wochen später, wenn sie selbst wieder stark genug sind.

Die Rühstädter werden danach erneut wehmütig – erst nach sieben Monaten können sie wieder mit Vorfreude den Himmel absuchen. Und in der Zeit dazwischen fehlt etwas in ihrem Leben: „Wenn die Störche wegfliegen, fliegt ein Stück vom Herzen mit“, sagt Isolde Gorsboth. „Und erst, wenn sie zurückkehren, fühlt man sich wieder vollständig.“

Inspirationen_Dorf-der-Stoerche_Bild4_C-OliverGerhard.jpg
© Oliver Gerhard

erleben & schmecken

Rühstädter Elbdeichrundgang

Der 6,2 Kilometer lange Rühstädter Elbdeichrundgang (Markierung grüner Kreis im weißen Quadrat) führt vorbei an den Futterplätzen der Störche in den Wiesen und Elbauen. Südlich der Dorfkirche verlässt man den Ort Richtung Elbe, deren Lauf man auf dem Deich mit Blicken über die Auenlandschaft folgt. Nach gut zwei Kilometern auf dem Deich geht es nach rechts wieder Richtung Ort. Den letzten Abschnitt kann man durch den Schlosspark zurücklegen.

Wer mit Bahn und Fahrrad über den Bahnhof Bad Wilsnack oder Wittenberge anreist, entdeckt unterwegs auch häufig Störche, zum Beispiel auf der gut 26 Kilometer langen Route „Treffpunkt Adebar“ mit Beobachtungspunkten an Elbe und Havel. Tracks zu beiden Routen findet man beim Tourismusverband Prignitz unter www.dieprignitz.de

Ein Hauch Französischer Küche

Rosen blühen, Weinreben ranken, der Duft von frisch gebackenem Brot liegt in der Luft. Seit drei Jahren betreiben Fedor von Glasenapp und Cindy Wellmann das Hofcafé & Bistro „Zur Alten Mühle“ am Ortsrand von Rühstädt. „Wir wollten einen Hauch französischer Küche in die Region bringen“, sagt der Gastronom. Es gibt Quiches und Flammkuchen (zum Beispiel mit Birne, Walnuss und Gorgonzola) aus dem historischen Holzbackofen, jeden Freitag und Montag wird Brot gebacken. Obst und Gemüse kommen aus der Region und dem eigenen Garten (April–Anfang Okt. Fr–Di. 11– 18 Uhr, Mäsche 5, Tel. 0151/64 88 05 77, www.hofcafe-bistro-rühstädt.de

Infos

Die neue Ausstellung „Weltenbummler Adebar“ im Besucherzentrum des NABU ist geöffnet April–Aug. Di.–So 10–18, Sept./Okt. 10–16 Uhr. Während der Storchensaison (April–Aug.) findet jeden Mi. und Fr. um 14 Uhr und Sa. um 11 Uhr ein geführter Dorfrundgang zu den Horsten statt. Weitere Infos unter www.nabu-ruehstaedt.de

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