Seit Kilometern fühlt man sich vollends verschluckt von der Einsamkeit. Hier, auf der höhenmetermäßigen Königsetappe der Wanderung von Regen nach Böbrach, steigt der Weg bis zum Oberberg an, sackt ein Stück ab und nimmt über Steine und Wurzelwerk Anlauf auf den Kronberg, der an der 1.000-Meter-Marke kratzt. Ein Reh springt davon. Fingerhüte setzen Farbzeichen in Violett. Tropfen vom letzten Regenguss hängen wie Glasperlen in den Zweigen von Fichten.
Apropos Feuchtigkeit: Wo bleibt das Bier auf dem, was die Macher aus Bayern als „Deutschlands ersten Bierfernwanderweg“ propagieren? Das lässt hier lange, sehr lange auf sich warten. Bis dahin muss man sich mit Wasser begnügen.
Bierwandern - ein PR-Trick?
Das Etikett „Deutschlands erster Bierfernwanderweg“ weckt falsche Vorstellungen. War vielleicht eine Bierlaune im Spiel, um die touristische PR-Wortwahl zu entwickeln? Wer als passionierter Bier-Genießer das Wort „Bierfernwanderweg“ hört, dürfte an Wirtshäuser und Biergärten in höchster Konzentration und Schlag auf Schlag denken. Dem ist nicht so – und genau das hat seine Vorteile.
Der zugkräftige Name des Weges lockt tief in den Bayerischen Wald, wo man weniger seine Leber strapaziert denn inmitten frischer, unverbrauchter Luft die Lungen und die Seele verwöhnt. Denn der Bierfernwanderweg ist das beste falsche Versprechen, um in die Stille und die tausend Schattierungen des Grüns einzutauchen. Trotzdem gibt es unterwegs natürlich zahlreiche Lokale und Biergärten, die ein frisch gezapftes Bier servieren. Doch die Zahl der Brauereien am 107 Kilometer langen Bierfernwanderweg beschränkt sich auf insgesamt acht, im Schnitt also alle 13,4 Kilometer eine.
Wandern mit Dampfbier zur Einstimmung
Den alkoholischen Auftakt des Bierfernwanderwegs macht im Bahnhofs- und Glasstädtchen Zwiesel, das sich als Einstiegspunkt auf den Weg empfiehlt, die Dampfbierbrauerei. Es ist die letzte in Zwiesel, wo es Mitte des 19. Jahrhunderts sage und schreibe 16 Brauhäuser gab. Das Brauereisterben hänge „an der Marktmacht der Großen und deren Werbeetats“, analysiert Seniorchef Dieter Pfeffer, der als zwölfjähriger Klosterschüler einmal bei einem Ausflug Bier „über den Durst“ trank. „Der Pater musste mich wegzerren, das war eine Blamage“, erinnert er sich und schmunzelt.
Für Besucher von heute sieht er den Trinkgenuss in Zwiesel „als persönliches Erlebnis mit Geschichte“ und zwar in diesem Sinne: „Hier spüre ich die Region.“ Pfeffer räumt ein, dass das Dampfbier „eigentlich etwas ganz Banales“ ist: „Früher durfte man in Deutschland nur im Winter Bier brauen, aber dann ging es im Sommer aus. Da brauchte man ein Bier, das man schnell machen konnte, also mit kürzerer Reife und sehr mild.“ Bei der Verkostung schmeckt er „eine Zitrusnote wie beim Weißbier“ und „bis hin zu Nelken“ heraus. Bitter ist das Dampfbier nicht. Wer mag, deckt sich für die erste Etappe nach Regen mit einem Fläschchen ein, das den typischen Bügelverschluss trägt. Der Weg folgt dem Flusslauf des Regen.
Fast vergessener Biergenuss
In Regen waren die historischen Bier- und Eiskeller lange verschüttet und vergessen – bis die Postkellerfreunde sie zu neuem Leben erweckten. Gründungsmitglied Sigrid Schiller-Bauer hilft ehrenamtlich mit, das Kulturgut vor der Haustür zu erhalten. „Außer Bier wurden früher bei idealer Kühlschranktemperatur auch Produkte wie Fleisch, Wurst, Lauch und Mohrrüben gelagert“, weiß sie.
Während sie das sagt, steht ihr bei acht Grad Celsius der Eishauch vor dem Mund. Lichteffekte und Infotafeln vertiefen bei der Führung das Erleben im Untergrund. Krönender Abschluss ist draußen eine Bierkostprobe in der Hütte der Freunde, wo Spruchtafeln wie diese die Holzwände zieren: „Im Himmel gibt’s kein Bier, drum trinken wir es hier.“
Idyllische Wanderung mit dunklem Ende
Früher dürfte so richtig kräftig gebechert worden sein. Auf 115 Regener kam eine Brauerei, und alleine um den Marktplatz des Handels- und Durchgangsstädtchens gab es elf Wirtshäuser, weiß Führerin Schiller-Bauer. Die Zeiten sind lange vorbei. Das hilft, einen klaren Kopf zu bewahren auf der anspruchsvollen Etappe weiter nach Böbrach. „Wer in meinen Garten schaut, schaut in mein Herz“, liest man in einem der letzten Vorgärten in Regen. Auerochsen weiden auf einer Wiese. Auf das breite Flusstal des Regen folgen Anstiege, die den Schweiß auf die Stirn und ins Shirt treiben. Die Rampenstücke auf den Kronberg erreichen kurzzeitig über 20 Prozent Steigung.
Schmetterlinge tanzen. Buchenzweige schieben sich auf den Weg. Die Sonne siebt Lichtflecken durch die Blätterdächer. Ein Baum ist mit Zunderschwämmen gespickt, einer Pilzart, die einst als Brennmaterial zum Anheizen diente. Bis auf Vogelgezwitscher und das Geräusch der eigenen Schritte fühlt man sich von Stille ummantelt. Auf dem Bierfernwanderweg steht das Tempo auf Entschleunigung. Das Leitmotiv Bier rückt in weite Ferne. Erst beim Abstieg hat die Durststrecke auf der Gutsalm Harlachberg ein Ende – und am Tagesziel Böbrach. Liebenswert nostalgisch, frei von Computersteuerung, produziert dort die Brauerei Gasthof Eck seit über einem halben Jahrtausend ihr Bier. Das preisgekrönte „Wilderer Dunkel“ lässt man sich am Ende des Wandertages zur deftigen Hausmannskost schmecken.
Bayerisches Craft Beer und Extratouren
Der Wanderweg bleibt fortan ein Auf und Ab über Viechtach, Drachselsried und Bodenmais. Im Brauereigasthof Adam Bräu in Bodenmais stärkt man sich mit einem Weißwurstfrühstück und trifft Braumeister Frank Reuter, der es mag, „alte Traditionen von vor 100, 150 Jahren wieder einzuführen“, wie er sagt. Mit dem modischen Terminus Craft Beer, der aus Amerika herübergeschwappt ist, kann Reuter nichts anfangen, denn: „Das, was wir hier immer gemacht haben, ist nichts anderes als Craft Beer.“
Wer Zeit für Extratouren hat, beginnt in Bodenmais bei einer Wanderung auf den Silberberg, der sich als Wahrzeichen über dem Ort erhebt. Unterhalb des Gipfels ist ein Aussichtssteg in die einstige Übertage-Abbaustelle „Gottesgab“ hineingebaut worden.
Steiniger Abschluss der Bierfernwanderung
Ab Zwiesel, wo sich der Kreis des Bierfernwanderwegs nach der Überquerung des Gipfels Hennenkobel schließt, bindet man an zwei Zusatzetappen mit der Bahn an: vom tschechischen Spicak durch den Böhmerwald nach Bayerisch Eisenstein (11 km, 313 hm) und von Bayerisch Eisenstein durch den Nationalpark Bayerischer Wald nach Ludwigsthal (9 km, 187 hm). Buchfinken tirilieren. Die Böden sind mit Fichtenzapfen übersät. „Totholz ist nicht tot, sondern der Beginn von neuem Leben für Käfer, Pilze, Spechte“, erläutert Rangerin Kristin Biebl.
Auf dem Wegstück nach Ludwigsthal darf der flüssige Nachschlag einfach nicht fehlen: In der Klause Schwellhäusl fließt das „Bier vom Stein“ aus einer Leitung durch den Felsen bis zum Zapfhahn. Ein Prosit auf die erlebnisreichen Tage!
wandern
Ruhe und Craft
Der Bierfernwanderweg ist ein Rundweg: sechs Etappen, 107 Kilometer, 3.099 Höhenmeter. Zwiesel (mit Bahnhof) eignet sich als Start- und Endpunkt. Die Etappen: Zwiesel – Regen (14 km, 87 hm), Regen – Böbrach (21 km, 783 hm), Böbrach – Viechtach (23 km, 523 hm), Viechtach – Drachselsried (13 km, 548 hm), Drachselsried – Bodenmais (16 km, 651 hm), Bodenmais – Zwiesel (20 km, 507 hm). Weitere Infos und ein herunterladbares PDF der Wanderkarte mit Kurzbeschreibungen der Etappen unter: https://wandern.arberland-bayerischer-wald.de
Info
Dampfbier aus Zwiesel
Die 1. Dampfbierbrauerei Zwiesel (Regener Str. 9, Zwiesel, Tel.: 09922 84660, www.dampfbier.de) liegt seit 1889 in Familienhand und öffnet zu ausgewählten Terminen ihre Tore. Eine Führung inklusive Verkostung der Biere bei einer Brotzeit bucht man über die Homepage (15 €). Bei dem Besuch lernt man den Museumsbereich mit historischem Gerät und die moderne Brautechnik kennen. Die Produktion umfasst 15 Sorten, darunter das milde, obergärige, bernsteinfarbene Dampfbier.