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Ein Besuch in Deutschlands bekanntestem Künstlerdorf

Worpswede, das Dorf im Teufelsmoor bei Bremen, ist für Touristen und Wanderer Mythos und Magnet zugleich. Kunstfreunde aus aller Welt wandeln hier auf den Spuren der ehemaligen Künstlerkolonie. Wolfgang Stelljes ist im Teufelsmoor großgeworden und hat für wanderlust seine alte Heimat besucht.
Feldlandschaft Worpswede mit kleinem Flußbett
©

Wolfgang Stelljes

Wenn man sich, wie wohl die meisten Worpswede-Besucher, von Bremen kommend dem Künstlerdorf nähert, sollte man kurz hinter Lilienthal den Fuß vom Gas nehmen. Sonst könnte das Auto Schaden nehmen. Die Fahrbahn ist kräftig abgesackt, ein klarer Hinweis darauf, dass wir uns dem Moor nähern – Straßen im Moor sind selten eben.

Das nächste Dorf heißt Wörpedorf. Ein Dorf wie viele andere im Teufelsmoor, schnurgerade und von Birken gesäumt. Der königlich hannoversche Moorkommissar Jürgen Christian Findorff gründete es 1751, es war das erste von 42 neuen Dörfern. Dank Findorff können wir das einstmals unzugängliche Teufelsmoor heute trockenen Fußes betreten. Meine alte Schule ist nach ihm benannt. Ich bin in Wörpedorf aufgewachsen. Meine Vorfahren kommen aus Dörfern, die Moorende, Mooringen und Schlußdorf heißen.

Ein Moor gemacht von Menschenhand

„Das wilde große Moor gibt es leider nicht mehr“, sagt Christina Muck. Bei ihr landet, wer in Worpswede fragt, wo man das Teufelsmoor sehen kann. Muck leitet die Biologische Station Osterholz. Wir treffen sie beim Ahrensfelder Moor, das man nur in Begleitung ortskundiger Menschen besuchen sollte. Es ist kein ursprüngliches Moor, sondern ein renaturiertes. Baumstümpfe ragen aus dem Wasser. „Viele denken, oh Gott, das sieht ja krank und tot aus“, sagt Muck. Dabei lebt das Moor hier gerade wieder auf. Torfmoose wachsen, werden dichter und dichter, ein „Schwingrasen“ entsteht. Torf wächst ein bis zwei Millimeter im Jahr. „Die dickste Stelle“ im Teufelsmoor ist bei Wörpedorf, sagt Muck, gewachsen in rund 11.000 Jahren.

Die 47-Jährige holt ein Stück Weißtorf aus ihrem Rucksack. Es hat so gut wie keinen Brennwert und wurde früher als Einstreu für die Ställe genutzt. Oder als Dämmmaterial. Ganz anders dagegen der Schwarztorf, er ist viel älter und hat einen Brennwert „fast wie Kohle“. Diesen Schwarztorf brachten die Bauern mit Kähnen, wie sie mein Urgroßvater Hinrich baute, nach Bremen. Heute ist das Teufelsmoor eine vom Menschen geschaffene Kulturlandschaft. Hier und da gibt es noch Flächen, die eine Ahnung davon vermitteln, wie das Moor einst ausgesehen hat. Christina Muck hätte gern mehr davon. Sie denkt dabei nicht nur an den Naturschutz, sondern vor allem an den Klimaschutz.

Ein Dorf mit Berg

Worpswede liegt mitten im Teufelsmoor und ist alles andere als ein Geheimtipp. In der Saison kann es auf dem zentralen Parkplatz an der Bergstraße mitten im Ort schon mal eng werden, vor allem an Wochenenden. Es gibt Worpsweder, die die Bergstraße dann meiden. Viele Besucher laufen im Dreieck, durch Bergstraße, Findorffstraße und Hembergstraße. Hier liegen zahlreiche Geschäfte, Cafés und drei der sechs Museen.

Über kurz oder lang sollte man dieses Dreieck verlassen, nicht nur, weil es dann ruhiger wird, rät Gästeführerin Daniela Platz. Sie führt uns in den ehemaligen Ortskern. Sieben der acht alten Höfe sind noch erhalten, allesamt umgenutzt, so wie das Rathaus. „Als hier bei einem heftigen Gewitter der Blitz einschlug, waren wir das erste Mal in der Tagesschau“, scherzt die 61-Jährige. Immerhin, die von Heinrich Vogeler entworfenen Möbel aus dem Standesamt konnten sie retten. Vogeler ist einer der großen Namen in Worpswede. Und Daniela Platz ist seine Urenkelin. Ich frage mich, ob sich unsere Urgroßväter, also ihr Heinrich und mein Hinrich, wohl begegnet sind.

Wiesenlandschaft in Worpswede
© Wolfgang Stelljes

Ein Moor voller Verrückter

„Die Worpsweder waren ewige Zeiten unter sich“, sagt Platz. Mitte des 18. Jahrhunderts kamen die Moorbauern dazu, in den Augen der Worpsweder „Verrückte, die für ein Stück Land ins Moor gingen“. Für sie ließ Findorff außerhalb des alten Ortes die Zionskirche bauen. Dort sind heute die Gräber von Fritz Mackensen und Paula Modersohn-Becker, zwei weitere große Namen. Dort ist auch das Grab meines Großvaters.

Hinter der Kirche geht es hinauf zum Weyerberg. Er misst offiziell gut 54 Meter und verdankt seine Entstehung dem Riesen Hüklüt, der vor langer Zeit durchs Teufelsmoor watete und hier und da Sand streute, um nicht zu versinken. So hatte ich es als Kind gelernt. Eine schöne Geschichte, die ins Reich der Sagen gehört. Geologisch gesehen ist der Weyerberg nichts weiter als ein „fetter Tonkern“ in einem alten Urstromtal, sagt Platz. Für mich als Kind war dieser Tonkern wichtig – wo sonst in dieser flachen Gegend konnte man rodeln?

Von Torfstechern zu Künstlern

Warum aber ist ausgerechnet Worpswede zu einem Künstlerdorf geworden? „Persönliche Zufälle“, sagt Platz. Alles begann damit, dass Emilie Stolte, genannt Mimi, die Tochter eines Worpsweder Kaufmanns, 1884 bei einer Tante in Düsseldorf aushalf und dort ein bedürftiger Kunststudent namens Fritz Mackensen regelmäßig zum Mittagstisch kam. Mimi schwärmte von ihrer Heimat und lud Fritz ein. Der folgte dieser Einladung – und war begeistert von der Weite des Teufelsmoores, am Horizont begrenzt von der Geest, oder, wie Daniela Platz es nennt, „einer Landschaft, die man nicht komponieren kann“.

Mackensen kam wieder und blieb. Weitere Künstler folgten, müde von der Stadt und dem etablierten Kunstbetrieb. Gleich mehrere ließen sich an der Ostendorfer Straße nieder, quasi auf der anderen Seite des Weyerbergs. Hier lebten vor allem Heuerleute, hier waren Grund und Boden erschwinglich. Vogeler erwarb eine kleine Fachwerkhütte mit Strohdach, die er nach und nach in einen repräsentativen Jugendstil-Bau verwandelte, den heutigen Barkenhoff.

Herschaftliches Haus in Worpswede
© Wolfgang Stelljes

Ein Dorf voller Maler, Bildhauer und Dichter

Gleich nebenan, im Buchenhof, wohnte der Maler Hans am Ende. 1895 nahm die Welt zum ersten Mal Notiz von dieser neuen Künstlerkolonie, nach gemeinsamen Ausstellungen in Bremen und München und einer Auszeichnung für „Gottesdienst im Freien“, einem Monumentalgemälde von Fritz Mackensen. Dabei hatte die bedeutendste Künstlerin die Bühne noch gar nicht betreten. 1897 besucht Paula Becker den Ort, gerade mal 19 Jahre alt. Ihr erstes Atelier richtete sie ebenfalls an der Ostendorfer Straße ein, bei Bauer Brünjes. Anfangs malte auch sie Birken und Moorgräben, doch dann suchte sie sich ihre eigenen Motive, alte Frauen aus dem Armenhaus beispielsweise. Oder die Töchter der Moorbauern, melancholische Bilder von in sich versunkenen Kindern, ungewöhnlich genug in einer Zeit, in der man den Nachwuchs landauf, landab lieber in eine Matrosenkluft steckte.

Der Barkenhoff wurde das Herz der Künstlerkolonie. Zu den Gästen von Heinrich Vogeler und Martha Schröder, der Tochter des Dorfschullehrers, die der Künstler in vielen Bildern porträtierte und schließlich heiratete, gehörten der Dichter Rainer Maria Rilke und seine Frau Clara, „eine super Bildhauerin, vollkommen unterbewertet“, so Platz. Das Maler-Ehepaar Paula Becker und Otto Modersohn ging ebenfalls ein und aus. Mit Ausnahme von Rilke stehen sie auf Vogelers berühmtestem Bild, dem „Sommerabend“, scheinbar einträchtig beieinander. Doch die Harmonie trügt, die Wege gingen auseinander.

Künstlerschicksale

1907 stirbt Paula Modersohn-Becker an den Folgen einer Lungenembolie, drei Wochen nach der Geburt ihrer Tochter Mathilde, im Alter von nur 31 Jahren. Sie hinterließ ein Werk von über 700 Gemälden, geschaffen in nur elf Jahren, und gilt heute als die international wohl bekannteste deutsche Malerin. Und doch blieb ihr zu Lebzeiten die Anerkennung noch versagt.

Und Heinrich Vogeler? Seine Biografie füllt ganze Bücher, Daniela Platz könnte locker ein weiteres hinzufügen. Wenn sie an ihren Urgroßvater denkt, hat sie vor allem den frühen Heinrich Vogeler vor Augen, einen zurückhaltenden Mann, der liebevoll mit seinen Kindern umging. Der früh schon den Gedanken hatte, dass die Kunst ausstrahlt auf anderen Menschen. Und der, als er 1942 völlig verarmt in der Sowjetunion starb, noch ein Büchlein über Worpswede bei sich trug.

Gern würde ich meinen Urgroßvater fragen, wie er die Leute mit der Staffelei gesehen hat. Daniela Platz erzählt die Geschichte von einem Künstler, der ohne viel Worte die Stube eines Bauern betrat und seine Staffelei aufbaute. Der Bauer legte Weißtorf aufs Feuer, in Nullkommanichts war der ganze Raum verräuchert, der Künstler musste unverrichteter Dinge wieder abziehen. Das hätte glatt mein Urgroßvater sein können, denke ich.

Schiffe auf einem Fluss im grünen
© Wolfgang Stelljes

Ein Torfkahn für Touristen

Einen Eindruck vom Leben der Moorbauern vermittelt ein Besuch der Torfschiffswerft in Schlußdorf, heute ein Museum. Rund 600 Schiffe wurden hier gebaut, eine Kunst für sich, denn das frische Holz musste in Form gebracht, sprich gebogen werden. 1954 ist das letzte Schiff vom Stapel gelaufen, erzählt Hans Monsees vom Heimatverein. Auf einem Kanal wurden die Kähne zur Hamme gestakt oder getreidelt. Beim Treideln musste das Schiff mit dem Tau vom Ufer aus gezogen werden, eine anstrengende Sache; es gab Schlußdorfer, die dabei Narben auf der Schulter davontrugen. Auf der Hamme konnte „Jan vom Moor“, wie der Torfbauer gemeinhin genannt wurde, dann das Segel setzen, wenn denn der Wind günstig stand. Sonst musste er weiter staken.

Heute ist so eine Fahrt mit dem Torfkahn ein beliebtes touristisches Angebot. Klaus Feldmann legt mit seinem Kahn im kleinen Hafen von Neu-Helgoland ab. Seine Kluft ist standesgemäß, Typ Moorbauer mit leicht maritimem Einschlag. Normalerweise würde Feldmann plattdeutsch sprechen, aber dann würden ihn viele Gäste nicht verstehen. Leise tuckern wir auf der Hamme, der „Hauptstraße im Teufelsmoor“, flussabwärts, Richtung Weser. Drei bis vier Tage dauerte früher die Fahrt nach Bremen, erzählt Feldmann. Übernachtet haben die Torfkahn-Kapitäne in einer engen Kajüte am Bug des Schiffes. Dann stellt Feldmann den Motor aus und setzt das braune Segel. Und ich denke an meinen Großvater, der hier an der Hamme Heu erntete und Enten hütete.

Fluss und Wiesenlandschaft
© Wolfgang Stelljes

"Strafarbeit"

Zur Zionskirche in Worpswede gibt es eine Geschichte, die oft erzählt wird. Paula Becker und Clara Westhoff – die eine hatte ihren Modersohn und die andere ihren Rilke noch nicht geheiratet – besuchten an einem Sonntag im Jahre 1900 das Gotteshaus. Erst genossen sie den Blick über das Teufelsmoor, doch dann stach sie, wie man hier zu sagen pflegt, der Hafer. Kräftig zogen die beiden am Glockenstrang und jagten so den Bewohnern von Worpswede einen gehörigen Schrecken ein, denn wenn es zu ungewöhnlicher Zeit läutete, dann handelte es sich meist um Feueralarm. Der „Unfug“ (Kirchenbuch) hatte Folgen: Die beiden Frauen wurden zu einer „Strafarbeit“ verdonnert – und schufen die Putten und Blumenmotive an den hölzernen Pfeilern der Empore. Die Kirche ist seither um eine kleine Attraktion reicher.

Künstler heute

Die Kunst hat in Worpswede das ganze Jahr über Saison. Neben sechs Museen gibt es mehrere Galerien für zeitgenössische Kunst, zum Beispiel Mimis Erbe im Haus des ehemaligen Kaufmanns Stolte, dessen Tochter „Mimi“ sich den Fritz Mackensen „angelacht“ hatte, wie es Christine Huizenga nennt. Huizenga gehört zu den rund 50 Künstlerinnen und Künstlern aus Worpswede und Umgebung, die hier im „Kunstkaufhaus“ ihre Werke präsentieren, neben wechselnden Ausstellungen. Auch sollte man sich nicht scheuen, ein Atelier aufzusuchen, etwa das von Gisela Eufe in der Bauernreihe. Es riecht stark nach Wachs, denn Eufe modelliert daraus Figuren, in der Regel weibliche, die ihre endgültige Form später in einer Bronzegießerei annehmen. Vielleicht ist ja was für den Garten dabei …

Worpswede

  • Info: Worpswede
  • Typ: Rundweg
  • Länge: knapp 8 km
  • Dauer: etwa drei Stunden (ohne Museumsbesuche)
  • Schwierigkeitsgrad: mittel
  • Markierung: Keine
  • Beste Wanderzeit: Ganzjährig, soweit Witterung und Wege es zulassen
  • Start: Tourist-Information im Ortskern
  • Ziel: Tourist-Information
  • Wegequalität: Straßen (teils Kopfsteinpflaster), befestigte und auch unbefestigte Wege

Weitere Infos gibt es im Artikel "Die große Worpswede-Runde".

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